Sie beginnen bei der am Freitag startenden styriarte Ihren mehrjährigen Fux-Schwerpunkt. Muss man Überzeugungsarbeit leisten für die Werke von Johann Joseph Fux?
MATHIS HUBER: Auf jeden Fall. Es kennt ihn ja kaum einer, nicht einmal hier in der Steiermark. Und es ist nicht so, dass der größte Barockkomponist Österreichs ein Renommee hätte beim Publikum. Unter Musikern ist Fux vor allem als Kontrapunkt-Lehrer ein Begriff. Das hat ihm wahrscheinlich geschadet, weil man dachte, er sei ein trockener Theoretiker. Das ist absolut falsch. Seine Musik ist viel farbiger als die der italienischen Komponisten.
Man weiß wenig über Fux und seine Inspirationen.
MATHIS HUBER: Wir wissen nicht, ob er in Italien war und dort studierte. Das sind dunkle Jahrzehnte in seiner Biografie. Fux begegnet uns im Jahr 1696 in Wien, da ist er schon 36 Jahre alt. 1683 verließ er Graz, dann studierte er Jus in Ingolstadt und dann: nichts. Die Fux-Biografen plagen sich mit diesen nicht dokumentierten Jahren und kommen nicht weiter, weil er selbst uns nichts über die Zeit mitgeteilt hat. Als er vom Hamburger Musikschriftsteller Johann Mattheson, der 149 Musikerbiografien seiner Zeit aufschrieb, Fragen zu seinem Leben gestellt bekam, antwortete Fux ablehnend: „Indessen seye mir genug, das ich wirdig geschätzt werde, Caroli VI. erster Capellmeister zu sein.“ Das sagt schon was über ihn. Er sagt: „Ich habe die Spitzenposition erklommen, was wollt ihr mit solchen biografischen Kleinigkeiten? Das interessiert doch keinen.“
Da hört man ein gewisses Selbstbewusstsein heraus.
MATHIS HUBER: Fux ist gegen jede Vernunft in diese Position am Habsburgerhof gekommen. Hundert oder zweihundert Jahre waren das Italiener. Und dann kommt auf einmal ein steirischer Bauernbub und kriegt diesen Job, das ist außergewöhnlich. Und bestimmt nett für das Ego.
Sie starten am Freitag mit „Julo Ascanio, Re d’Alba“ eine Reihe mit Fux-Opern bei der styriarte. Wie lange könnte die werden?
MATHIS HUBER: Wir betreten ja ein Terrain, auf dem wir Überraschungen erleben können. Wenn es beim Publikum so aufgeht, wie wir glauben, haben wir momentan einen sechsjährigen Horizont und möchten die wesentlichen Gattungen des Fux’schen Musiktheaters aufführen. Wir haben 18 Opern zur Auswahl, dazu sakrale Musik, also Material in Hülle und Fülle. Wir gehen im Nebel, aber wir sind überzeugt, dass da das schönste Feld liegt.
Sind die Opern und die jeweiligen Besetzungen schon fixiert?
MATHIS HUBER: Die Opern stehen nicht fest, aber es gibt ein paar Eckpunkte. Und ich möchte ein Ensemble kreieren, mit der Grundstruktur der jetzigen Besetzung um den Dirigenten Alfredo Bernardini. Was sich verändert, sind die Spielplätze: Ich werde kein Open-Air-Stück in einen Saal quetschen. Ich glaube, dass wir uns auf die Idee des Komponisten unbedingt verlassen sollten. Fux wusste schon, was er tat.
Werden Sie Ihre künftigen Festivalthemen auch an die jeweils ausgesuchte Oper anpassen?
MATHIS HUBER: Das ist der Plan. Wenn das alles so gut aufgeht, werden die Fux-Opern der nächsten Jahre die thematischen Zentren des Festivals sein.
Heuer heißt das Festivalmotto „Felix Austria“: Worin besteht für Sie das Glück Österreichs?
MATHIS HUBER: Ich habe das Gefühl, dass uns vor lauter Überdruss das Glück abhandenkommt, weil wir es einfach nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Weil uns heute irgendwer sagt: „Das ist alles furchtbar! Die vielen Fremden, das ist alles schrecklich! Und wir brauchen einen neuen Weg und einen starken Mann!“
Das heißt, die styriarte hat im Kern aktuelle gesellschaftspolitische Brisanz?
MATHIS HUBER: Ich hoffe, dass alles, was wir machen, gesellschaftspolitische Relevanz hat. Und ich bin überzeugt, dass eine Veränderung nicht so bewerkstelligt wird, dass man irgendwem Ansichten hineinprügelt – auch nicht mit Kunst und Kultur. Man soll Leute mit seinen Projekten nicht belehren, sondern sie unterhalten. Und indem man sie in eine angenehme Situation bringt, öffnet man sie für Ideen, denen sie sich sonst verschließen würden. Vielleicht. Die Kunst redet ja nicht so konkret, aber hinter der Festivalgestaltung steht natürlich ein politisches Projekt. Und das ist ein Projekt der Aufklärung, der Humanität, der grundsätzlichen Offenheit für das Fremde.
Die Vermittlungsarbeit ist für Sie immer relevanter geworden.
MATHIS HUBER: Wenn Sie mich vor 20 Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt: Das Symphoniekonzert, das Streichquartett, das sind Formate, die sind nicht zu übertreffen in ihrer Qualität. Aber die Inhalte sind viel breiter geworden, also müssen wir heute pfiffig sein und diese vielen interessanten Inhalte in passende Präsentationsformate bringen. Damit geben wir den Kunstwerken die Möglichkeit, sich so zu entfalten, wie ihre Erfinder sich das gedacht haben. Wenn ich das ignoriere, werde ich etwa dem Tango von Astor Piazzolla keinen richtigen Rahmen geben, und dann werde ich wahrscheinlich alles falsch machen. Heute ist das musikalische Angebot so breit, dass ich es nicht in diese enge Konzertschablone zwängen kann.
Gibt es auch Konzertbesucher, die sagen: „Wir brauchen diesen ganzen Schnickschnack nicht!“?
MATHIS HUBER: Sicher, aber nur beim Orchester recreation. Ich habe in den recreation-Konzerten etwa 2000 Besucher und 2000 Meinungen. Manche wollen, dass jedes Konzert so ausschauen soll wie bei „Last Night of the Proms“. Die anderen meinen: Ihr macht ja lauter nichtsymphonischen Unfug. Aber ich bin vom konventionellen Weg schon länger abgewichen – ich bin ein sehr Veränderter.
War Ihre frühere Strenge dem Einfluss von Nikolaus Harnoncourt geschuldet?
MATHIS HUBER: Nein, wir waren füreinander bestimmt. Wir waren beide gleich streng. Ich war früher ein Diener der Kunst, so wie er, und habe die Kunst als das betrachtet, was den Menschen ausmacht und wohin die Menschen zu führen sind. Heute sage ich mir, dass ich dazu da bin, den Menschen mit der Kunst das Leben und den Geist frei zu machen und etwas zu geben. Das heißt, ich habe die Kunst von ihrem Eigenwert befreit und sie als Mittel zum Zweck eingestuft, eine bessere Gesellschaft zu kreieren. Weil wenn ich mein strenges Kunstspiel weiterspiele, wird wahrscheinlich früher oder später niemand mehr hinter mir sein, und dann werde ich irgendwo meine heilige Kunst fabrizieren, aber die Menschen sind beim Andreas Gabalier – scharf zugespitzt.
Aber auf die Kunst wird nicht vergessen?
MATHIS HUBER: Ich bin ja nicht unter die Spaßmacher gegangen. Natürlich machen wir Abgründe auf, Welten, die sonst nicht betretbar wären. Und da sind Welten, die sind dunkelgrau, und welche, die sind sonnengold. Das alles können wir. Und das alles wollen die Leute. Wir sollten uns von diesem bildungsbürgerlichen Anspruch befreien, dass man von der Kunst so viel verstehen müsste.