Viele Köche verderben den Brei, heißt es. Zuweilen wird der Brei trotzdem gut. Ganze fünf rumänische Kulturminister waren im Amt, seit mit der Planungen des Auftritts als Gastland bei der Leipziger Buchmesse begonnen wurde. Die politische Lage Rumäniens ist hochambivalent, auf den Straßen demonstrieren die Bürger, der Braindrain treibt einen Keil in die Gesellschaft. Für die Literatur muss das alles nicht nur schlecht sein. Das Motto des Gastlandes: „Zoom in“. Eine Aufforderung, der man unbedingt nachkommen sollte.

Für das wagemutigste Buch des Gastlandes - und vielleicht überhaupt auf der Buchmesse - zeichnet der 58-jährige Autor Catalin Mihuleac verantwortlich. „Oxenberg & Bernstein“ erzählt die Familiengeschichte des angesehenen Gynäkologen Jacques und seiner Frau Roza, die Ende der 30er-Jahre in der nordostrumänischen Stadt Iasi dem zunehmend rabiaten Antisemitismus ausgesetzt sind. Alternierend dazu folgt ein zweiter Erzählstrang in der Jetztzeit: Die 33-jährige Sinziana, genannt Suzy, entflieht ihrer Heimat, indem sie in eine amerikanische Familie einheiratet. Ihre neue Aufgabe: Sie handelt mit Secondhand-Kleidung. Gewand mit Geschichte - Geschichten, die es zu verkaufen gilt.

Man trifft sich in einer Hotellobby, wo Mihuleac und sein Übersetzer Ernest Wichner ohne Eile warten. Das Gespräch findet just an jenem gedenkreichen Tag statt, an dem sich der Anschluss Österreichs zum 80. Mal jährt. Während hierzulande an die jahrelangen Nazigräuel erinnert wird, spricht Mihuleac über den artverwandten Inhalt seines Romans. Über das, was in seinem Heimatland nicht gewesen sein soll, nicht gewesen sein durfte, da es nicht dem Selbstbild entsprach und gleichzeitig kausal mit den hiesigen Gedenktagen zusammenhängt: Am 29. Juni 1941 ereignete sich in der damals 100.000-Einwohnerstadt Iasi ein Pogrom schwer begreiflicher Grausamkeit. Innerhalb weniger Stunden starben 13.266 Menschen, fast ausschließlich Männer. Erstochen, erschossen, erschlagen von rumänischen Polizisten und Militärs, unterstützt von deutschen Nationalsozialisten. Eine Welle des Judenhasses, weitgehend ungesühnt. Wer zunächst überlebte, wurde in einen Zug verfrachtet, der tagelang fuhr, bis auch der letzte Insasse umgekommen war. In diese Geschichte pflanzt Mihuleac seinen Roman. Unerträglich ist der Inhalt, schwer verdaulich ist zuweilen auch die Sprache, mit der Mihuleac das Grauen kontrastiert. Mit saloppem, teils derbem Gestus findet er Worte, wo keine Worte vorgesehen zu sein scheinen. Das Nebeneinander von blumiger Leichtigkeit und unerträglicher Schwere verlangt dem Leser einiges ab. Doch es fügt sich, fügt sich stimmig zusammen.

Als der Zsolnay Verlag bei dem Übersetzer und Literaturexperten Ernest Wichner anfragte, riet dieser aufgrund des Tons von Mihuleacs Werk von einer deutschsprachigen Veröffentlichung ab: „Ich hatte das Gefühl, man kann über so einen Stoff nicht so schreiben.“ Erst als er von den massiven Angriffen auf Buch und Autor erfuhr, änderte er seine Meinung. Ein Glücksfall. Auch auf der Leipziger Buchmesse, wo Wichner für die Übersetzung für den Buchpreis nominiert war.

Über die wahren Verantwortlichen für das Pogrom habe bis vor wenigen Jahren niemand gesprochen, es wurde „den Nationalsozialisten in die Schuhe geschoben, wohingegen tatsächlich Rumänien beinahe ausschließlich die Schuld daran zukommt“, erklärt Mihuleac.

Was die Buchmesse für die rumänische Literaturlandschaft bedeutet? „Es gibt jetzt 40 Autoren, die mit neuen Übersetzungen da sind, und wenn 20 oder 30 in der deutschsprachigen Verlagslandschaft überleben, wäre das ein riesiger Erfolg“, sagt Wichner trocken.

In Leipzig fällt am Sonntag der Vorhang. Zurück bleiben, wie immer, die Zahlen, die Statistiken, die Ausblicke. Zurück bleiben aber auch die Worte. Auch jene, die laut Mihuleac in der Nacht des 29. Juni viele Mütter ihren Söhnen sagten: „Hab keine Angst, es dauert nur ein paar Sekunden.“ Das bleibt, auch wenn es wehtut.

Zum Buch: Catalin Mihuleac. Oxenberg & Bernstein. Zsolnay, 366 Seiten, 24,70 Euro.