Eine unglückliche Entscheidung: Zwei Stunden vor Beginn und in Anbetracht anhaltender Gewitterwarnung entschlossen die Festspiele am Freitag, die Neuinszenierung des "Jedermann" vom Domplatz ins Große Festspielhaus zu verlegen. Pünktlich vor Premierenbeginn verzogen sich die Wolken, da wiegt so ein Verlust an Atmosphäre dann gleich noch schwerer.

Die Entscheidung, Michael Sturminger für seine dritte "Jedermann"-Inszenierung en suite zu engagieren, erwies sich dagegen als einigermaßen tragfähig. 2017 hatte der Regisseur dem Stück einen kapitalismuskritischen, 2021 einen feministischen Grundton verordnet; diesmal verlegt er die Geschichte des Magnaten, der mit seinem Tod konfrontiert um Barmherzigkeit und Erlösung ringt, in ein quasi postapokalyptisches Ödland (Bühne und Kostüme: Renate Martin, Andreas Donhauser), in der die monströse Geldburg des reichen Jedermann gleich zu Beginn von Sprayern beschmiert wird.

Die letzte Generation greift ein

Dass bei der Premiere dann, kurz bevor der bereits von Todesahnungen erfasste Jedermann seine Gäste zum "letzten Mahl" einlädt, ein Grüppchen Aktivisten den Saal stürmt und "Wir alle sind die letzte Generation! Wir haben die Lösungen, die wir brauchen!" skandiert, bevor man sie aus dem Saal eskortiert, wirkt da wie eine fast allzu konsequente Überwindung der vierten Wand: Immerhin ist Jedermann da längst als Vertreter einer zerstörerischen Elite kenntlich gemacht, die sich vor selbstverursachten Untergangsszenarien hinter dicken Mauern verschanzt und jede Verantwortung am Ungemach der Welt da draußen von sich abbeutelt.

Aber der Zwischenfall, stellt sich heraus, ist echt, nicht inszeniert, der Kurvenverlauf von Politaktivismus und Kunst ein paar Sekunden lang synchron. Es ist der überraschendste Moment einer Inszenierung, die sonst nicht viel Neues zu erzählen hat, aber eine verschwenderische Zahl magisch schöner und burlesk witziger Szenen aufweist. Etwa dann, wenn in den Soundlandschaften des formidablen "Ensemble 21" Popstar Anja Plaschg in der Doppelrolle als Spielansagerin und Glaube ihre Textpassagen singt. Oder wenn Sarah Viktoria Frick, kurz auch als Gott zu sehen, als saukomisches Teufelchen, das sein Schwänzchen auf der Vorderseite trägt, sich wie ein Wrestlemania-Bösewicht um Jedermanns arme Seele balgt. Bruno Cathomas und Fridolin Sandmeyer liefern eine hübsche Doppelconference als dicker und dünner Vetter, Mirco Kreibich gibt den verzweifelten Schuldknecht und den boshaft dämonischen Mammon. Und Nicole Heesters, die einst selbst als Buhlschaft auf dem Domplatz stand, verleiht Jedermanns Mutter eine schön schalkhafte Note: Der Dialog, den Mutter und Sohn führen, zählt zu den intimsten, heitersten Momenten des Abends.

Das liegt auch daran, dass Michael Maertens sich als Jedermann nur langsam in der Rolle warmzulaufen scheint: Ehe ihn die existenzielle Not im Angesicht des Todes in panischen Verzweiflungsglauben drängt, spult dieser Geldsack seine Rechtfertigungen für Gier und Ausbeuterei unfassbar routiniert herunter. Vielleicht hat man das im wirklichen Leben schon zu oft so gehört, als dass es noch bewegen könnte. Neben ihm weht Valerie Pachner als Buhlschaft durch ihre kurzen Szenen, glänzt dafür aber umso mehr als zärtlicher, bestimmter Tod. Gerade an dieser wunderbaren Schauspielerin zeigen sich aber auch die Grenzen von Sturmingers Prinzip der Doppelbesetzungen: Wirklich triftig wirkt das alles nicht. Trotzdem langer Jubel für eine Inszenierung, die den Glaubensfragen des Moralitätendramas ausweicht, in ihm aber doch einigermaßen sinnfällig drängende Themen der Gegenwart zu verankern vermag.