Liebe putzige Alpakas, bitte nicht traurig sein, aber das mit dem Lieblingstier der Saison wird heuer fix nichts. Es liegt übrigens nicht an eurem Aussehen, denn selbst die Modegurus sind ob der aktuellen Lage verstummt. Nein, es liegt an eurer Gruppendynamik. Das harmlose Herdentier umgibt im Moment die Aura des Gefährlichen – und es zeigt sich, dass sich vieles ins Verkehrte dreht, was für gewöhnlich fix gesetzt ist. Im August 2016 hat eine Gruppe Wissenschaftler in Kapstadt das Erdzeitalter Anthropozän ausgerufen. Ánthropos, so bezeichnete man im antiken Griechenland den aufrechten Menschen. Der ist im geologischen Zeitalter Anthropozän der alleinige bestimmende Faktor. Wir wollen hier keine Sekunde daran zweifeln, dass am Ende der Coronakrise alles seinen gewohnten Gang geht. Mensch denkt, Mensch lenkt.

Doch im Hier und Jetzt ist der „König des Anthropozäns“ kaserniert wie ein Tier im Käfig. Und den darf er nur unter vorgegebenen Bedingungen verlassen. Schleicht er sich aus seinen vier Wänden, wird sein Verhalten geradezu tierhaft: Man beäugt sich skeptisch, geht sich großräumig aus dem Weg, macht Platz an Orten, wo man sich in Prä-Corona-Zeiten keine 20 Zentimeter mehr Raum geschenkt hätte. Jetzt treten alle freiwillig den Rückzug an, fast so, als wäre jeder Einzelne von uns über Nacht zum hochgefährlichen Prädator geworden. Im Supermarkt umschleicht man sich, als würde man gegenseitig fremde Territorien ausloten. Was ein mit freiem Auge nicht sichtbarer Feind in nur wenigen Wochen so alles zustande bringt.

Die eigenen vier Wände, die in den letzten Jahren die Funktion von Trutzburgen gegen diese schnelllebige, hektische Welt da draußen geworden sind, wirken jetzt wie scharfe Reviergrenzen. Beinahe absurd, wo doch die ganze Welt für gewöhnlich zu unserem Spielplatz geworden ist. Was haben wir uns mit schönem Blendwerk eingerichtet: Cocooning, also der freiwillige Rückzug in die Privatsphäre, wurde in Lifestylemagazinen bis zum Exzess zelebriert. Nun also alle selbstisoliert (ein Begriff, der übrigens viel mehr nach Wahlfreiheit klingt, als es tatsächlich ist) und mit sehnsüchtig melancholischem Blick ausgestattet.

Schon früh in der Krise sind sie aufgetaucht, die Bilder des US-Künstlers Edward Hopper (1882–1967), wie jenes, das oben abgebildet ist. Seine scheinbar isolierten Menschen, umgeben von der Schutzhülle ihrer Räume, streng abgetrennt vom Außen. Oder sein wohl berühmtestes Gemälde „Nighthawks“ (sinngemäß „Nachtschwärmer“), das vier in sich gekehrte Großstädter an einer Bar zeigt. Eine Schicksalsgemeinschaft, ja, und doch jeder für sich allein. Ist das wirklich ein Anprangern der Einsamkeit? Oder könnte es nicht auch ein bewusstes Weglassen von all dem sein, was den Menschen im Alltag einhüllt, einlullt, zuschüttet und ihn auch von sich selbst wegführt? Haben wir längst die Verbindung zu uns selbst und unserer Umwelt verloren? Ist unser Blick auf die Natur nur noch einer, den wir idealisieren und genau so für uns einrahmen?

Edward Hopper, der selbst sehr zurückgezogen lebte, war vor allem auch ein Landschaftsmaler. Aber seine Landschaften sind keine idealisierten Verherrlichungen, sondern ein Wechselspiel aus Zivilisation und noch ungebändigter Natur. Er dokumentiert in den meisten seiner Landschaften die Spuren, die der Mensch der Umwelt aufgezwungen hat. Umso spannender, danach zu fragen, was sich außerhalb des schützenden Hauses befindet.

Ist die Natur dort draußen gar feindlich oder sehnen wir uns danach, vor der permanenten Zerstreuung, die diese Welt für uns bereithält, dorthin zu fliehen? Möglicherweise Letzteres. Das zeigt sich gut in der Umkehrung der Stadt-Land-Sehnsucht, die in der aktuellen Krise stattfindet. Die Offenheit der Stadt hat sich ins Gegenteil verkehrt. Das Überangebot an Unterhaltung ist amtlich verboten. Das Land, dessen dörfliche Enge sonst zur Stadtflucht anregt, wird zum Sehnsuchtsort, um der Enge der Stadt zu entfliehen – und dem derzeit gefährlichsten Tier: dem Menschen. So gesehen ist eh alles wie immer: der Mensch auf der Flucht vor sich selbst.