Zum Mittagessen serviert sie geröstete Markknochen an Petersiliensalat und scharf angebratene Gänseleber an Risotto vom grünen Apfel, und das in der Schulkantine. Innerhalb von Wochen wird die neue Kantinenköchin Constant damit anstaltsberühmt. Das wird der jungen Frau auf Dauer aber nicht viel nützen, denn in seinem Drama „Götterspeise“ zeichnet der amerikanische Dramatiker Noah Haidle Constants Lebensweg als Leidensweg; sie wird geschwängert, sitzengelassen, gekündigt, ihres Kindes beraubt, landet erst in Psychiatrie und dann in der Todeszelle.
Das klingt in seiner düsteren Konsequenz entsetzlich niederschmetternd „und beim ersten Durchlesen habe ich das auch so empfunden“, sagt Julia Gräfner. Aber dann bei der Konzeptprobe sei sie plötzlich „vor Lachen unterm Tisch gelegen“. Heute Abend hat sie in der Rolle der Constant am Grazer Schauspielhaus Premiere.

Publikumsliebling


Man freut sich über die saftige, tragikomische Rolle für die vielseitige Schauspielerin. Mit enormer Unbedingtheit und Sensibilität hat sich die bald 30-Jährige in den letzten vier Jahren und in Stücken wie „Romeo und Julia“,„Der Sturm“, „Showgirls“, „Bernarda Albas Haus“, „Tartuffe“ verdientermaßen die Anstecknadel „Publikumsliebling“ erspielt. Nicht der einzige Grund, warum sie es in Graz gut aushält. Unlängst hat sie den Vertrag für die nächste Spielzeit unterzeichnet und einen gesetzten älteren Hundeherrn namens Jimmy aus dem Tierheim geholt; abgesehen von solchen Zeichen einstweiliger Sesshaftigkeit beweist sie weiter Lust aufs Experiment.

In Vollvisiermasken


„Götterspeise“ wird nämlich, zumal in den ersten beiden Akten, in Maske gespielt. Genauer gesagt in helmartigen Vollvisiermasken und mit Mikroport. Regisseur Jan Stephan Schmieding hat sich das ausgedacht, und auf diese Weise zu agieren, konzediert Gräfner, sei gewöhnungsbedürftig gewesen, „weil alles Kammerspielartige verschwindet, kleinere Momente größer werden“. Mittlerweile rühmt sie, auf wie überraschende Weise das Maskenspiel „einen auf den Kern von Theater zurückwirft“. Man müsse mehr mit dem Körper spielen, „klarer, entschiedener“ und man besinne sich dadurch stärker „auf Grundregeln des Theaterspielens“, auf Spielzüge, die man im Schauspielstudium lernt: „Aufnehmen, Werten, Entscheiden, Handeln.“ Als schließlich bei den Proben für die Akte drei und vier die Masken wieder abgenommen wurden, „fand ich das seltsam“, erzählt Gräfner, „ich kam mir selbst wieder zu ähnlich vor.“

Eklatanter Mangel an vielschichtigen Frauenfiguren

Dass ihre Figur Constant ihre Gefühle stets ganz ungefiltert zum Ausdruck bringt, habe ihr imponiert, sagt sie: „Sie agiert nicht wie eine Erwachsene, aber sie ist deswegen nicht automatisch kindlich. Sie ist direkt, strategiefrei, ohne Vorsicht.“ Darin zeige sich auch das Lebensbejahende der Figur: „Sie ist ein Stehaufweibchen, eine mutige Kämpferin, die immer weitermacht und nie aufgibt.“ Man möchte nicht Constant sein, glaubt sie. Aber dem am Theater nach wie vor eklatanten Mangel an vielschichtigen Frauenfiguren eine wie sie entgegensetzen zu können, findet die Schauspielerin schön, „auch, weil es nicht die schlichte Geschichte einer Asi-Braut ist, die es gut meint, sondern ein im Grunde klassischer Stoff, eine Heldenreise“.


Einzig mit dem titelgebenden Dessert kann sie nichts anfangen: „Ich habe das immer gehasst, Götterspeise.“