Frau Primas, wie lautet Ihre Diagnose zum Zustand der steirischen Kulturszene?
HEIDRUN PRIMAS: Ich nehme einen seismografischen Ausschlag in eine Richtung wahr: eine Art Vorahnung, dass die Vielfalt der Kulturproduktion angegriffen wird – und zwar relativ diffus. Das halte ich für ein gefährliches Warnzeichen. Sieht man sich das historisch an, ist das, wenn die Vielfalt angegriffen wird, die Vorstufe für eine Entwicklung der Gesellschaft, bei der es um eine Art von Gleichschaltung geht. Darauf zu reagieren und dagegen zu protestieren, halte ich für wichtig: weil es nicht nur um die Kunst- und Kulturszene geht oder um einige, die weniger Geld bekommen, sondern um einen gesellschaftlichen Zustandsbericht. Und um die Akzeptanz vom Nebeneinander unterschiedlicher Zugänge zur Welt.


Wo ist die Vielfalt durch Kürzungen bei mehrjährigen Förderverträgen besonders gefährdet?
PRIMAS: Bei kleinen Vereinen, die ein Labormomentum bedienen, das eine Auseinandersetzung mit Kunst an den Rändern betreibt. Wo etwas experimentell ausprobiert wird, mit dem Risiko, dass es nicht ganz ersichtlich ist, worum es geht, weil am Ende kein Produkt steht. Das ist kulturelles Klima, das wir brauchen, um die sogenannte Hochkultur entstehen zu lassen. Denn ohne spartenübergreifende Experimente wird sich nichts etablieren. Ich kenne viele junge Menschen, die fortgehen. Sie sagen: Was soll ich hier? Ich habe keinen Rahmen, der es mir ermöglicht, Menschen zu treffen, die ähnlich arbeiten wie ich.


Ist es nicht normal, dass es junge Menschen in Städte zieht?
PRIMAS: Ja, das macht Sinn. Aber es macht einen Unterschied, ob ich wieder hierher zurückkommen kann oder ob es diese Szene nicht mehr gibt. In Graz haben wir die Szene und die Chance im Sinne von Provinz – und das meine ich jetzt positiv –, abseits vom Zentrum Dinge auszuprobieren.


Gibt es aus Ihrer Sicht Sparten, die gefährdeter sind als andere?
PRIMAS: Vereinfacht gesagt: Experimentelle Literatur ist viel schwieriger zu vermitteln als Straßentheater, experimentelle Musik schwieriger als Unterhaltungsmusik. Experimente brauchen einen Raum sowie den Austausch mit der Öffentlichkeit – der ist wichtig. Es geht nicht darum, hermetisch Kunst zu produzieren, wo wir noch stolz darauf sind, dass sie niemand versteht.
Welcher Kulturbegriff verbirgt sich dahinter?
PRIMAS: Für mich ist Kultur nicht das gute Leben für die wenigen, die es sich leisten können, sondern sie beschreibt das, wie wir miteinander auf dieser Welt existieren. Kultur hat viel mit Solidarität zu tun.


Apropos Solidarität: Ist die Kulturszene zuletzt näher zusammengerückt?
PRIMAS: Es gibt derzeit viele Gespräche und Willensbekundungen. Ich erlebe das als sehr positiv. Es werden diverse Handlungsanleitungen durchexerziert. Ich hoffe, dass es im Herbst mit dieser Solidarität weitergeht. Obwohl: Ich bin sicher, dass es weitergeht.


Zwischen Stillstand und Protest: Welches Verkehrsbild symbolisiert der aktuelle Zustand?
PRIMAS: Ich würde gerne eine Vision skizzieren: Shared Space.


Welches Schild passt dazu?
PRIMAS: Keines – und das ist großartig. Man nimmt die Kontrolle raus und vereinbart, dass man sich in einem Raum befindet, in dem alle aufeinander schauen. Die Ordnung wird nicht von oben geregelt, sondern über ein zwischen- und mitmenschliches Vermögen.

Seit Kurzem ziert das Wort Gesamtkunstsortenversuchsanstalt das Forum Stadtpark
Seit Kurzem ziert das Wort Gesamtkunstsortenversuchsanstalt das Forum Stadtpark © Gery Wolf


Das hieße, Kulturpolitiker, Konzertbesucher und Künstler träfen sich auf einer Ebene als gleiche Verkehrsteilnehmer?
PRIMAS: Ja. Und Beispiele aus Nordeuropa zeigen, dass sich das Klima dadurch tatsächlich verändert. Das ist eine Alltagspraxis – und darüber reden wir im Forum Stadtpark schon lange. Künstlerische Praxis verändert die Welt, weil sie im Alltag ein anderes Miteinander provoziert.
Und wie wären die Geldflüsse geregelt? Eine öffentliche Diskussion, wem ein Tausender gezupft wird, stellt man sich nicht unbedingt als harmonisches Event vor?
PRIMAS: Das ist eine Systemfrage. Das Konzept von Shared Space sagt, dass man Dinge innerhalb des Systems verhandeln kann.


Was will die Szene denn mit ihrem Protest erreichen?
PRIMAS: Dass es mehr Kommunikation hin zur Kulturpolitik gibt. Es geht nicht um ein schroffes Gegenüber, sondern um ein oszillierendes Feld.


Wir reden nun schon eine Stunde und noch kein einziges Mal fiel der Begriff Geld. Warum?
PRIMAS: Übers Geld zu reden, kann eine gefährliche Abzweigung sein. Die einen sagen: Jetzt jammern die Künstler schon wieder. Die anderen: Wofür brauchen wir Kultur überhaupt? Man muss übers Geld reden, weil es eine wirtschaftliche Debatte ist und weil der Kunst- und Kulturbereich ohnehin niedrig dotiert ist. Aber ich halte es für kein sinnvolles Instrument, das öffentlich zu verhandeln. Das muss in Spezialistenkreisen debattiert werden – aber dort sehr ernst und kritisch – und dann erklärt werden. Also das, was durch das Kuratorium nicht passiert ist. Das ist zu Recht empörend.


2011 schickten wir Sie erstmals in ein konfrontatives Gespräch mit Kulturlandesrat Christian Buchmann. Sie sagten damals: Mir fehlt ein Streiten für die Kunst und Kultur. Ihm gefiel das Vokabel Streit gar nicht. Streiten Sie schon miteinander?
PRIMAS: Ich sehe meinen Job als Leiterin des Forums Stadtpark als einen öffentlichen und politischen. Die gute Streitkultur vermisse ich nach wie vor.