Gut 4500 Fans sind am Donnerstagabend dem Ruf des deutschen Hip-Hop Dreigestirns Deichkind in die Grazer Stadthalle gefolgt. Ausverkauft ist sie nicht, die Stadthalle. Schön, denkt der Konzertbesucher, dann ist bei der angesagten Party ordentlich Platz zum Tanzen; eigentlich ja "abrocken" - weil die Sprache des Abends ist weder Gabalier-Älplerisch noch STS-Steirisch, sondern Hamburgisch.

Der Abend geht etwas schleppend los. Zu routiniert und verhalten kommen die Beats daher, zu perfekt und allerwelts-ästhetisch die Präsentation. Die bissigen Texte der Herren Grütering, Reimann und Dürre alias Kryptik Joe, Ferris MC und Porky wirken in ihrer Kapitalismus- und Gegenwartskritik gelinde gesagt bemüht. Die Lichtshow könnte von Pink Floyd oder Genesis sein, die Kostüme von Kraftwerk, die Attitüde wirkt wie ein Beastie Boys-Franchising und die Musik hatten beispielsweise Seeed vor fünfzehn Jahren auch schon so in der Art drauf.

Ziemlich früh "Leider geil"

Zum "Abrocken" ist folglich unter den 4500 zunächst kaum jemand zumute. Das Bier fließt inner- und außerhalb der Halle in gemächlichem Tempo in die Pappbecher, von dort in die Kehlen und - wie man anhand des ständigen Kommens und Gehens erahnen kann - auch wieder aus dem Publikum heraus. Nach einer Reihe eher durchschnittlicher Nummern vom neuen Alben und ein paar Routine-Hits (überraschend früh im Set der Klassiker "Leider geil" und die neue facebook-Satire "Like mich am Arsch") ergreifen die Protagonisten auf der Bühne die Initiative: "Macht doch mal die Hände hoch!" lautet das Kommando.

Graz versteht, macht die Hände hoch und einer der drei Sänger kurvt auf ihnen eine Runde im Paddelboot. Ganz lustig eigentlich. Und irgendwie steckt da wohl auch ein bisschen Business-Verarsche drin, denkt sich der mittlerweile in seiner Gedankensprache angepasste Grazer im Publikum. Noch drei Songs und der Abend droht nach etwas mehr als einer Stunde zur Farce zu werden, als sich Deichkind zum ersten Mal vom Publikum verabschieden. Zum Glück aber wieder: Verarsche. Denn jetzt geht es mit - wie sich am Schluss herausstellen wird - gezählten zwölf Zugaben erst richtig los. "Oma gib Handtasche", "Arbeit nervt", " "Komm schon" und - wieder ein Hochkaräter aus der Bandkarriere - "Bon Voyage" wummern nacheinander ungebremst daher. Auch die Mischung aus US-Profigehabe und leicht abartigem norddeutschen Humor in Wort und Choreographie stimmt auf einmal.

Tetrapyramiden-Köpfe

Der Platz im durchwegs unbestuhlten Parkett wird nun tatsächlich zum Hopsen und Springen genützt und selbst dem grummeligsten Konzertbesucher bleibt nicht viel anderes übrig als sich vom erklärten Motto "Leider geil" mitreißen zulassen. Okay, der Kapitalismus ist Scheiße, unser Konsumverhalten destruktiv-räuberisch, die Natur kurz vorm Zusammenbruch, wir sind alles käufliche Idioten, und auch dieser Abend nur Chimäre (hätte der alte Nestroy in einer ganz anderen Sprache gesagt) aber, 'Ey! - die Fete geht ab. Dabei wird man irgendwo das ungute Bauchgefühl aber doch nicht ganz los, dass hinter den bunt leuchtenden Tetrapyramiden-Köpfen der Tänzer-Showkostüme der Teufel lacht.

Heute Freitag haban noch die Linzer die Möglichkeit zu erfahren, wie man zu, pardon: "an" Weltuntergang zu feiern hat. Danach steuert das Stage-Rafting-Schlauchboot von Deichkind in heimatlich-deutsche Zuschauerhand-Gewässer zurück. Für jene, denen die Zwei-Show-Österreich-Tour insgesamt zu kurz bemessen war, bleibt der Besuch des Nova Rock-Festivals in Nickelsdorf. Am 14. Juni werden sich die drei Hamburger Partykönige unter anderem mit Motörhead und Farin Urlaub um die Wette, nun ja, abrocken.

ANDREAS STANGL, Austria Presseagentur