Neben dem "Falstaff" gilt der "Otello" unter den Musikdramen von Giuseppe Verdi als Dirigentenoper schlechthin. In welch hohem Maß diese Einschätzung stimmt, zeigte jetzt in der sehr gut besuchten Grazer Oper die Wiederaufnahme der im Oktober 2011 herausgebrachten Inszenierung von Stephen Lawless. Diese gehört allerdings nach wie vor zu den schwächeren Regiearbeiten des Briten und hat auch in der Einstudierung durch Christian Thausing nicht gewonnen.

Eine erhebliche Qualitätssteigerung bescherte jedoch der Wechsel am Pult. Denn jetzt dirigiert Dirk Kaftan, der Dramatik nicht mit Lautstärke gleichsetzt. Er lässt Giuseppe Verdis reife Alterspartitur über weite Strecken geradezu kammermusikalisch erklingen, weist den sorgfältig ausbalancierten Klangfarben entscheidende Bedeutung zu. Mit den hoch motivierten Grazer Philharmonikern schafft er fein abgestufte dynamische Kontraste. Gerade weil er auf ständig geschürte Überhitzung und Hektik verzichtet, Details nicht dem plakativen Effekt opfert und der explosiven Dramatik ruhig ausgekostete Lyrik gegenüberstellt, erzielt er elektrisierende Hochspannung.

Inneres Beben

Als Gewinn erweist sich auch das Engagement von Kristian Benedikt, der den Otello schon in Vilnius, Modena, Piacenza, Cagliari, Ekaterinburg, Brisbane, St. Petersburg, München, Santiago, und Basel gesungen hat. Der Litauer besitzt einen baritonal grundierten, dunkel timbrierten Heldentenor, der seinen "Esultate!"-Auftritt nicht mit sieghaftem Glanz schmettert, sondern schon den gequälten Schmerzensmann erkennen lässt. Benedikt verfügt über schier unerschöpfliche stimmliche Reserven, mobilisiert enorme Durchschlagskraft für die leidenschaftlichen Attacken, erinnert im gereizten Hochfahren dunkel glühender Töne von hoher Intensität an den legendären Ramon Vinay. Er protzt nicht mit seiner nur gezielt an den Höhepunkten eingesetzten enormen Stimmkraft, nimmt sich immer wieder zurück, lässt im Mezzoforte und Piano das innere Beben spüren.

Der Italiener Ivan Inverardi, der in Graz schon als Verdis "Rigoletto" und "Maskenball"-Renato zu hören war, gestaltet den Jago weder als robusten Haudegen noch als dämonischen Strippenzieher, sondern passt sich der ihm von der Regie aufgenötigten Rolle des Hofnarren an, um als Biedermann im Schafspelz aufzutreten, der nur im Credo sein baritonales Potential mit voller Wucht einsetzt.

Gal James beeindruckt wieder als beseelte, makellos phrasierende Desdemona. In den Nebenrollen zeigt sich das Grazer Ensemble von seiner besten Seite; der von Bernhard Schneider einstudierte Chor glänzt mit rhythmischer Präzision.