Herr Karlinger, Sie und Ihre Kollegin Manuela Grundner veranstalten seit 2016 die Freiräume-Konferenz, die sich mit neuen Arbeitsformen auseinandersetzt. Man kann sich vorstellen, dass dieses Jahr besonders spannend ist. Wie bauen Sie die aktuellen Geschehnisse ein?

Ducken sich beim Thema Verantwortung nicht auch viele weg, weil sie denken: Bitte nicht noch mehr zu tun, bitte nicht um noch mehr Dinge kümmern?   

Ein Fokus liegt heuer auch auf der Selbstorganisation. Was verstehen Sie unter dem Begriff? Viele denken sich, ich bin ja eh organisiert, ich steh früh auf, bin pünktlich bei der Arbeit, erledige all meine Aufgaben …

Selbstorganisation umfasst mehrere Aspekte. Einer davon ist Selbstführung. Man kann sie auf die Einzelperson übertragen, man muss also in der Lage sein, sich selbst zu führen. Zum Beispiel: Sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren, mit anderen in Kommunikation zu gehen. Das sind Dinge, die vielen von uns schwerfallen.

Selbstführung in Teams: Wir kommen im Zeitalter der Wissensgesellschaft immer mehr drauf, dass man sehr wenig alleine schafft. Ich brauche die Zusammenarbeit mit anderen Menschen. In Unternehmen oder Gesellschaften kann man vieles nur noch im Zusammenspiel mit anderen tun. Hier stellt sich schließlich die Frage, wie sich so eine Gruppe von Menschen organisiert. Da gibt es die Pyramide mit einem Leiter als Kopf, der entscheidet. Das ist das klassische. Selbstführung eines Teams geht nun einen anderen Weg. Die Teammitglieder müssen wechselseitig Mechanismen finden wie sie sich wechselseitig selbst führen. Führung ist also nicht mehr einer Person zugeordnet, sondern je nach Situation unterschiedlichen Personen. Kommunikation spielt hier natürlich eine überaus wichtige Rolle, auch sie haben wir in Organisationen oftmals verlernt. Homeoffice ist vielen im März übergestülpt worden und nun sitzen auch wieder sehr viele bei der Arbeit Zuhause. Als was werden wir es rückblickend betrachten? Notlösung? Zwischenlösung? Lösung für viele Probleme?

Homeoffice-Aspekte werden immer selbstverständlicher werden, durch die Pandemie und die Erfahrungen, die viele gemacht haben. Aber es wird nie so sein, dass man eine rein virtuelle Organisation schaffen kann und wir uns nur virtuell in Kommunikation begeben. Wir Menschen sind soziale Wesen, die Beziehungen brauchen. Und Beziehung funktioniert nur, wenn man sich von Zeit zu Zeit ganz persönlich, sehen und erleben kann. Es wird beides brauchen.

Aber wie könnte die Zukunft nun aussehen?

Meine Vision wäre, dass unsere Büros in Zukunft nur noch aus Meetingräumen bestehen. Und das in ganz unterschiedlichen Konstellationen. In der Wissensarbeit könnte man zum Beispiel an zwei Tagen in der Woche zusammenkommen und intensiv zusammenarbeiten und die restlichen Tage im Homeoffice verbringen. Das wäre ein schönes Pulsieren zwischen diesen beiden Welten. Der Untertitel der heurigen Konferenz lautet: Mit viel Nähe im digitalen Raum. Wie wollen Sie das schaffen?

Wir versuchen soziale Elemente in die digitalen Formate zu weben. Einerseits versuchen wir sehr stark in Kleingruppen zu gehen, weil wir bisher erlebt haben, dass zwar die anfeuernde Keynote der Impuls ist, es daraufhin aber auch gemeinsame Verarbeitung braucht. Zweitens: Was im Büro typischerweise und ganz selbstverständlich funktioniert, sind zufällige Begegnungen. Und diese sind extrem schwierig hinzubekommen im virtuellen Raum. Wir werden aber versuchen, diese Zufälle ganz bewusst zu ermöglichen. Indem die Teilnehmer zum Beispiel Pause machen, aber ihren Laptop mitnehmen und wir ihnen virtuelle Küchenräume oder Kaffeehaustische anbieten. Und dort können sich dann drei oder vier Leute in einem Raum treffen. Sie plaudern und trinken miteinander Kaffee. Da entsteht vielleicht etwas. Nun ist ein starker Kritikpunkt des Homeoffice, dass die Arbeit stark ins Zuhause eindringt. Wie kann man hier handeln? Mehr Grenzen ziehen oder einfach Arbeit und Freizeit nicht mehr als zwei gegensätzliche Dinge sehen?

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Wenn Arbeit etwas ist, das ich gerne mache, wo ich meine Bestimmung und Wertschätzung finde, ist es dann wichtig, dass ich Arbeit von den übrigen Aspekten meiner Persönlichkeit oder von den anderen Dingen, die mir wichtig sind, so scharf trennen muss? Warum versuchen wir die Arbeit um 17 Uhr gut sein zu lassen, die Bürotür zu schließen und etwas anderes zu tun? Es ist einfach wichtig, sich selbst immer wieder vor Augen zu führen, was gerade der eigene Fokus ist.