Österreichs Innenpolitik in den drei Jahrzehnten von 1970 bis 2000 kann man in drei Sätzen beschreiben: Zuerst gab 13 Jahre die Bruno-Kreisky-SPÖ in der Alleinregierung den Ton an. Dann folgten drei Jahre rot-blauer Übergang. Und dann herrschte 13 Jahre die Jörg-Haider-FPÖ in der Opposition.

Denn Haider war ein Oppositionspolitiker mit Gestaltungsanspruch – im Guten wie im Schlechten. Das hatte es vorher so vehement nicht gegeben. „Österreich politisch erneuern“ lautete das Motto des FPÖ-Parteitags 1988. Das Angriffsziel war von Beginn an klar: Es ging gegen die „Altparteien“ SPÖ und ÖVP und die von ihnen gebildete Große Koalition. Diese stellte der FPÖ-Chef als ein verkrustetes, verfilztes System von Günstlingen und Minderleistern hin, die mit ihrem allumfassenden Proporz der Zukunft des Landes im Wege stünden.

Ironie der Geschichte: Als Haider auf den blauen Schild gehoben wurde, gab es gar keine rot-schwarze Regierung. SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky wurde nämlich erst durch Haiders putschartige Kür zum FPÖ-Chef auf dem Innsbrucker Parteitag 1986 dazu veranlasst, die damalige rot-blaue Koalition zu kündigen, Neuwahlen auszurufen und forthin mit der ÖVP zu regieren.

Ferment der Großen Koalition

Haider selbst bildete also das Ferment für jene Neuauflage der SP-VP-Koalition, die er dann jahrelang wütend bekämpfte. Zweite Ironie: Vranitzky und Haider sorgten für wechselseitigen Erfolg, weil ihr Antagonismus die politische Bühne ausfüllte und die ÖVP marginalisierte. Vranitzky als „Ausgrenzer“ und Haider als „Opfer“ sahen einander vor allem als günstige Gelegenheit, die jeweils eigene Herrschaft nach innen zu festigen.

Der Oppositionsführer malte ein düsteres Bild der Republik: Rot und Schwarz seien „die politische Besatzungsmacht“, schrieb er 1997 in seinem programmatischen Buch „Befreite Zukunft jenseits von links und rechts“. Genüsslich beschrieb er ein in Rot und Schwarz aufgeteiltes Land: Die ÖVP beherrsche die Beamten, die Wirtschaftskammer, den Gemeindebund, die Landwirtschaftskammer. Die SPÖ wiederum habe die Eisenbahner, die Stadt Wien, die Arbeiterkammer, den ÖGB und den Städtebund im Schwitzkasten.

Üppige Jagdgründe für den "Rebell"

Vielfach legte Haider den Finger in reale Wunden: Die Misswirtschaft in der verpolitisierten verstaatlichten Industrie hatte die Steuerzahler im Verlauf der 1980er-Jahre rund fünf Milliarden Euro gekostet. Das war in der Dimension mit Haiders eigenem späteren Finanzdesaster in der Hypo-Alpe-Adria-Bank vergleichbar. Ob seine Angriffe die Restrukturierung der verstaatlichten Industrie beschleunigt haben, lässt sich schwer sagen. Auch ohne sein Wirken wäre das Debakel bald nicht mehr finanzierbar und Reformen unausweichlich gewesen.

Die weitgespannte Macht von SPÖ und ÖVP bot dem sich als „Rebell“ inszenierenden Haider üppige Jagdgründe: Sozialversicherungen, Beamtenpensionen, E-Wirtschaft, Wohnbaugenossenschaften, Nationalbank und auch der ORF gerieten in sein Visier. Überall sah er, häufig zu Recht, rot-schwarze Pfründen und Privilegien. Als Gegenrezept empfahl er „Privilegienabbau“ und mehr oder minder gut durchdachte Reformen.

So nannte er schon Ende der 1980er-Jahre das erst heute in Umsetzung befindliche Ziel, die 28 Sozialversicherungen zusammenzulegen. Dass es nicht eher dazu kam, lag freilich auch an der FPÖ: Sie scheiterte als Regierungspartei 2001 mit einem verunglückten Reformversuch für den Sozialversicherungs-Hauptverband. Danach war das Thema jahrelang tabu.

Haiders FPÖ scheitete an sich selbst

Haider ging aus Wahlen fast immer siegreich hervor (epochale Ausnahme: Nationalratswahl 2002), aber seiner pointierten Reform-Agenda blieb der Erfolg weitgehend versagt. In den Oppositionsjahren bis 1999 war das institutionelle Beharrungsvermögen der Staatsgründungsparteien SPÖ und ÖVP größer als ihre Angst vor Haider. Auch konnten sie in ihren Rückzugsgefechten immer noch mobilisieren: Das sah man etwa 1996, als bei Urabstimmungen über die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern mehr als 90 Prozent für die Beibehaltung votierten.

Als die FPÖ dann selbst regierte, scheiterte sie an legistischem Unvermögen, am Beamtenapparat und am Beharrungsvermögen des Partners ÖVP. Das wahre Scheitern des notorischen „Saubermanns“ erfolgte freilich nicht politisch, sondern moralisch. Aber das erfuhr man großteils erst posthum.

Was Haider auf jeden Fall verändert hat, ist die Art der politischen Kommunikation. Der jugendliche, auf viele Menschen charismatisch wirkende FPÖ-Chef war nach Kreisky der zweite Medienvirtuose und dazu der erste moderne politische Populist.

Speziell in Wahlkämpfen setzte der FPÖ-Chef instinktsicher auf publikumswirksame Attacken. So erfand er am 21. September 1994 im TV-Duell gegen Vranitzky das „Taferl“: Nach 22 Minuten Gesprächszeit hielt er plötzlich ein Schild in die Kamera, das die Luxusbezüge des steirischen Arbeiterkammerdirektors zeigte. Die Verlegenheit war groß, 1997 wurde das Bezügegesetz mit Obergrenzen beschlossen. In diesem Fall ein Triumph Haiders.