Ein Jahr lang hat die KlagenfurterinCarmen Possnig in der Antarktis verbracht. Im Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur ESA erforschte die österreichische Medizinerin in der Antarktis-Station "Concordia" Auswirkungen von Isolation und geringem Sauerstoffgehalt auf die Crew. Nach Ende ihres Aufenthalts erwischte die APA Possnig beim "Auftauen" in Australien, noch ganz beeindruckt von "einzigartigen" Erfahrungen.

Wie geht es Ihnen nach einem Jahr in der Antarktis?
CARMEN POSSNIG: Es geht mir gut - ein bisschen müde bin ich von dem doch anstrengendem Jahr, aber auch ein bisschen traurig, dass es bereits vorbei ist  es ist viel zu schnell vergangen. Jetzt genieße ich den australischen Sommer - wieder Auftauen, Natur genießen, erholen, langsam wieder an die Zivilisation gewöhnen.

In der Antarktis hatten Sie bis zu minus 80 Grad Celsius, in Australien nun 40 Grad plus. Wie fühlt sich der Temperaturunterschied von 120 Grad an?
Ja, es war durchaus ein Schock am Anfang. Besonders seltsam war es, Leute ohne dicke Jacken und vor allem ohne Handschuhe draußen herumlaufen zu sehen. Inzwischen vermisse ich die Kälte und die weißen Horizonte aber schon wieder ein bisschen.

Auch wenn es schwer ist, ein Jahr lang kurz und kompakt zu beschreiben - aber: Wie war es?
Einzigartig! Alles in allem hatte ich ein wundervolles Jahr. Wir hatten natürlich schwierigere Momente, haben diese aber gut gemeistert und ich habe definitiv viel gelernt. Die Antarktis ist ein irrsinnig toller Kontinent, und in der Isolation von "Concordia" zu leben, hat etwas ganz Besonderes. Man formt nach einigen Wochen des Alleinseins eine Art Mikro-Gesellschaft - mit allen positiven und negativen Auswirkungen. Für die neun Monate komplette Isolation waren wir ja völlig auf uns allein gestellt und mussten uns ganz auf einander verlassen können. Man kann ja nicht einfach Essen einkaufen gehen, wenn etwas ausgeht, oder Ersatzteile kaufen, wenn etwas kaputt geht. Jedes Problem ist eine Herausforderung und kreative Lösungen und Teamwork sind gefragt.

Possnig mit einem Wetterballon
Possnig mit einem Wetterballon © Privat

Dann gibt es so wenige Ablenkungen dort. So hatten wir nur zwei Computer mit einer sehr, sehr langsamen Internetverbindung. Die wurden dann auch eher selten benutzt. Ohne die ständige Versuchung, etwas im Internet nachzuschlagen, sei es Social Media, Nachrichten oder Katzenfotos, kann man sich also voll und ganz auf die wichtigen Dinge fokussieren. Ich war selten so konzentriert und produktiv.

Wie sind Sie mit den Bedingungen dort zurechtgekommen - Isolation, Temperatur, Dunkelheit, geringer Sauerstoff-Gehalt, usw.?
Ich muss sagen, dass ich die Isolation und die Dunkelheit genossen habe. Die dreieinhalb Monate lange Dunkelheit waren magisch. Durch die Höhe (die Station liegt auf 3233 Meter Seehöhe, Sauerstoffgehalt und Luftdruck entsprechen aufgrund der atmosphärischen Bedingungen aber rund 4000 Meter am Äquator, Anm.) und die extrem trockene Luft hatten wir einen spektakulären Sternenhimmel. Das Mondlicht war manchmal beinahe so hell wie Sonnenlicht - zumindest so hell wie wir es in Erinnerung hatten. Und wenn wir gegen Mittag draußen arbeiteten, war das Sternenlicht oft so hell, dass wir keine Taschenlampen brauchten. Trotzdem war es aber dann auch wunderschön und ein sehr emotionaler Moment, als die Sonne im August erstmals wieder am Horizont zu sehen war.

Der Sauerstoffmangel, der niedrige Luftdruck und die niedrige Luftfeuchtigkeit waren schon eher problematisch. Das Hochplateau ist die trockenste Wüste auf der Erde, die relative Luftfeuchtigkeit in der Station lag im einstelligen Bereich. Wenn ich vergaß mich einzucremen, hatte ich sofort blutige Risse in den Händen, die monatelang nicht mehr zuheilten. Im Fitnessraum war ich außer Atem, bevor die Muskeln müde waren und viele von uns litten unter Schlafproblemen. Wenn man um drei Uhr Früh rastlos durch die Station spaziert, findet man garantiert einen Crewkollegen, der ebenfalls herumgeistert.

Was war Ihr bester Moment in dem Jahr?
Die Midwinter Woche. Am 21. Juni wird in allen antarktischen Stationen Midwinter gefeiert - der Moment, an dem die Sonne sich uns wieder nähert. Das Fest dient zur Aufheiterung und zum Teambuilding in dieser oft schwierigen Zeit - schließlich war es zu dem Zeitpunkt bereits fast zwei Monate lang komplett finster. Wir hatten fünf Tage "Ferien" und Zeit zum Feiern, jeder Tag hatte ein anderes Thema. Wir verbrachten Wochen davor unsere Freizeit damit, Dekorationen und Kostüme zu basteln und diverse Aktivitäten zu planen. Wir hatten zum Beispiel einen Tropical Island-Abend, zu dem wir einen Raum in einen Strand verwandelten und ihn aufheizten, damit wir in Badehosen und Bikinis kommen konnten. Oder den traditionellen "Gallier vs Römer-Tag" - die "Concordia"-Station wird ja von den Franzosen und Italienern betrieben und bewohnt - an dem wir sehr eindrucksvoll kostümiert diverse Spiele und sportliche Herausforderungen meistern mussten.

Und was war Ihr furchtbarstes Erlebnis?
Das war am Beginn des Winters, als ich noch wenig Erfahrung hatte mit dem Arbeiten bei niedrigen Temperaturen - unsere niedrigsten waren um die minus 80 Grad Celsius, mit Windchill-Faktor also etwa minus 100 Grad Celsius. Ich musste regelmäßig meine etwa zwei Zentimeter großen Blutröhrchen (für ihre medizinischen Untersuchungen nahm Possnig den Crew-Mitgliedern regelmäßig Blut ab, Anm.) außerhalb der Station in einem Container lagern. Es war unmöglich, diese zu sortieren, ohne zumindest die äußerste der fünf Handschuhschichten auszuziehen. Ich hatte zusätzlich noch chemische Handwärmer, und ein Handschuhpaar war elektrisch gewärmt - aber bei minus 80 Grad hilft auch das nicht lange. An diesem Tag bekam ich ein seltsames Gefühl in meiner linken Hand, dachte mir aber nicht viel dabei und arbeitete weiter. Am Weg zurück zur Station merkte ich, dass ich nicht klar denken konnte und schwindlig war.

Possnig bei der Wasseranalyse im ESA-Labor
Possnig bei der Wasseranalyse im ESA-Labor © PNRA/IPEV

Zum Glück schaffte ich es zurück in die Station, und beim Ausziehen der Handschuhe wurde klar, dass meine Finger Erfrierungen hatten - einer war bereits etwas unangenehm dunkel verfärbt. Die nächste Stunde verbrachte ich damit, unter großen Schmerzen wieder auf eine halbwegs normale Körpertemperatur zu kommen. Hypothermie ist eine der größten Gefahren dort und einer der Gründe, warum wir ständig ein Funkgerät mit uns herumtrugen, wenn wir uns draußen aufhielten. Kleinere Erfrierungen waren unvermeidlich und bald Teil des Alltags - "Was hast du dir heute abgefroren?" war Smalltalk-Thema während des Abendessens, größere wie die oben beschriebene waren aber selten und glücklicherweise haben wir alle noch zehn Finger.

Haben Sie es jemals bereut, sich für diese Mission gemeldet zu haben?
Nein, absolut nicht. Es war eine wunderbare Erfahrung, ich würde es wieder machen.

Sie haben ja verschiedene Experimente mit den Crew-Mitgliedern durchgeführt - ist alles nach Plan gelaufen?
Natürlich nicht. Eine der Herausforderungen dort ist es, dass man diverse Probleme, die auftauchen, mit den wenigen vorhandenen Mitteln kreativ lösen muss. Und natürlich ist man zusätzlich ständig dabei, die Crewmitglieder zu motivieren, die ja alle freiwillig an den Experimenten teilnehmen. Das war wahrscheinlich der anstrengendste Part meines Aufenthalts, möglichst neutral zu bleiben in Konflikten und stundenlang zu diskutieren, warum meine Experimente sinnvoll sind. Immerhin habe ich sehr viel gelernt aus dieser Situation, und ich habe viele gute Rohdaten gesammelt.

Gibt es schon erste Ergebnisse der Experimente?
Die meisten Proben werden in Europa noch genauer analysiert. Ich habe aber zum Beispiel beobachten können, dass das Immunsystem stark auf die beinahe sterile Umgebung reagierte. Die Aktivität der Immunzellen nimmt ab. Das war auch ein Grund, warum wir alle krank wurden, als die ersten neuen Leute im Sommer ankamen und neue Viren mitbrachten. Und auch unsere kognitive Leistungen nahmen deutlich ab während der langen Dunkelheit.

Sind Sie noch an der weiteren Auswertung der gesammelten Daten beteiligt?
Nein, der Vertrag mit der ESA läuft nur während dem Aufenthalt.

Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter, haben Sie schon Pläne?
Ich würde gerne im Bereich der Weltraummedizinforschung bleiben, also einen PhD in der Richtung machen.