Wenn Bettina Scherzinger betet, singt oder spricht, macht sie das im Handumdrehen. Buchstäblich. Die 42-Jährige arbeitet für die Gehörlosenseelsorge der katholischen Kirche in Kärnten, ihre Sprache ist die Gebärdensprache. „Ich selbst bin grundsätzlich gehörlos, aber ich habe in einem Ohr ein Cochlea-Implantat“, erzählt Scherzinger im Interview via Whatsapp. Sie ist ausschließlich schriftlich erreichbar; aus gutem Grund: „Mit diesem Implantat kann ich Geräusche hören, aber nicht vollständig die gesprochene Sprache verstehen.“ Das gelinge nur, wenn das Gegenüber eine schöne Aussprache hat.

Die Gehörlosenseelsorge bietet monatlich eine Messe in Gebärdensprache an. Bis zu 15 Personen nehmen an den Gottesdiensten, die gewöhnlich in der Don-Bosco-Kirche in Klagenfurt stattfinden, teil. Mit Pfarrer Johannes Staudacher wird auch in anderen Kirchen gastiert. Und: „Im Sommer machen wir immer eine kleine Wanderung mit einer heiligen Messe in einer Kirche unserer Wahl.“

In der Pfarrküche mit Pfarrer Staudacher
In der Pfarrküche mit Pfarrer Staudacher © KK/PRIVAT

Trotz Gebärdensprache noch viele Barrieren

Genau dieses Angebot, also der Gehörlosengottesdienst, war der Ausgangspunkt für diesen Artikel. Im Laufe des Interviews zeichnen sich aber viele weitere Facetten der Gehörlosenseelsorge ab – und viele Barrieren in der Gesellschaft, die es noch zu überwinden gilt. Barrieren, die auch Scherzingers Kindheit prägten.

Die Kärntnerin kam hörend zu Welt. Doch mit eineinhalb Jahren erlitt sie eine Gehirnhautentzündung und entkam nur knapp dem Tod. „Da wurde festgestellt, dass mein Hörvermögen etwas abbekommen hat.“ Die Gebärdensprache lernte Scherzinger erst ab dem 16. Lebensjahr. Warum so spät? „Weil mir, so wie anderen Kindern, im Kindergarten verboten wurde, diese Sprache zu erlernen.“ Scherzinger erzählt, wie ihr und anderen Gehörlosen so die Identität genommen wurde, „denn es wurde von uns verlangt, dass wir uns an die hörende Welt anpassen – was natürlich nicht möglich war.“ Die Gebärdensprache ist für sie nicht nur das Tor zu Bildung, sondern zu allem, was das Leben zu bieten hat. Seit einem beidseitigen Hörsturz im Alter von 24 Jahren hört sie so gut wie nichts mehr, wie sie erklärt. Auch das eingangs erwähnte Implantat kommt nicht an die Hörgeräte heran, die Scherzinger zuvor geholfen hatten.

Inklusion in Kärnten

In den vergangenen Jahren gab es in Sachen Inklusion bereits Fortschritte, wie Isabella Scheiflinger, Anwältin für Menschen mit Behinderung, informiert: So können die Kosten für einen geprüften Gebärdensprachdolmetscher bis zu einem jährlichen Höchstbetrag über das Land finanziert werden: „Möglich ist dabei auch die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetschern für den Freizeitbereich, also z.B. für eine Hochzeit oder für eine Feier im Freundes- und/oder Bekanntenkreis.“ Allerdings gibt es in Kärnten aktuell nur drei geprüfte Gebärdensprachdolmetscher, die dem Österreichischen Gebärdensprach-Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen-Verband (ÖGSDV) angehören. Deshalb habe das Land Kärnten zwei Stipendien in Höhe von je 30.000 Euro für die Fachausbildung ausgeschrieben.

Seit 2005 ist Gebärdensprache in der österreichischen Verfassung verankert. Scherzinger weist darauf hin, dass gehörlose Menschen in Sachen Bildung noch heute benachteiligt seien, da Kinder oft einzeln in Klassen untergebracht werden und der gemeinsame Austausch Betroffener dadurch fehle. Scheiflinger: „Die Positionierung der Anwaltschaft ist hier eindeutig – gehörlose Kinder haben ein Recht auf einen inklusiven Unterricht in ihrer Muttersprache, womit die österreichische Gebärdensprache gemeint ist.“ Vorgesehen ist, dass der Unterricht in einer inklusiven Klasse unter Miteinbeziehung eines Gebärdensprachdolmetschers, erfolgt. In der Anwaltschaft ist aktuell keine Beschwerde in Hinblick auf Inklusion gehörloser Regelschulkinder anhängig.

Gefordert wird außerdem ein ÖGS-Lehrplan (Österreichische Gebärdensprache), der für öffentliche Regelschulen auf allen Schulstufen gelten soll, wie Scheiflinger informiert: „Im Nationalen Aktionsplan Behinderung wurde dies auch verankert, bisher jedoch noch nicht abschließend umgesetzt.“

Mit Religion zur Inklusion

Mit ihrem Job bei der Gehörlosenseelsorge sorgt Scherzinger dafür, dass Gehörlose auch in Belangen der Kirche inkludiert werden: „Zu meinen Aufgaben als Assistentin der Gehörlosenseelsorge gehört es, die Termine der Gottesdienste zu organisieren, die Wünsche der Gehörlosen wahrzunehmen und umzusetzen.“ Sie organisiert etwa Dolmetscher für Taufen, Firmungen, Erstkommunionen und Hochzeiten. Aber nicht nur das: „Daneben schreibe ich Berichte für den Salesboten, das ist eine österreichweite Zeitschrift für gehörlose Menschen und mache Hausbesuche bei denen, die nicht mehr mobil sein können.“ Alle zwei Jahre findet zudem die österreichische Gehörlosenwallfahrt statt.

Gehörlose aus ganz Österreich bei der Wallfahrt in Frauenkirchen, Burgenland. Alles zwei Jahre findet eine Wallfahrt für Gehörlose statt; jedes mal in einem anderen Bundesland
Gehörlose aus ganz Österreich bei der Wallfahrt in Frauenkirchen, Burgenland. Alles zwei Jahre findet eine Wallfahrt für Gehörlose statt; jedes mal in einem anderen Bundesland © Scherzinger

Wie Gebärdensprache funktioniert

Aber wie funktioniert eigentlich Gebärdensprache? „Gebärdensprache hat eine eigene Grammatik mit verschiedenen Komponenten, manuellen und non-manuellen, wobei die Mimik eine sehr große Rolle beinhaltet“, erklärt Scherzinger. So wird zum Beispiel der Satz „Ich esse heute zu Mittag Zuhause“  in Gebärden so ausgedrückt: „Heute ich Zuhause Mittag essen“.

Scherzinger beim Übersetzen in die Gebärdensprache
Scherzinger beim Übersetzen in die Gebärdensprache © KK/PRIVAT

Als Kind langweilte sich Scherzinger in der Kirche noch, doch das änderte sich, als sie ihren ersten Gottesdienst in Gebärdensprache besuchte: „Die Zusammenkunft hat für uns Gehörlose eine hohe Priorität, weil wir dort alle in derselben Sprache miteinander kommunizieren können: der Gebärdensprache. Es ist nicht alltäglich, dass wir in unserer Sprache sprechen können.“ Das Angebot der Gehörlosenmesse geht bis in die 1950er Jahre zurück. Der damalige Pfarrer beherrschte die Gebärdensprache und war bei den betroffenen Kindern beliebt, wie Scherzinger von älteren Mitgliedern der Glaubensgemeinde erfuhr. Das Angebot wurde über die Jahre hinweg ausgebaut. Scherzinger: „Ich wusste damals bei meiner Firmung nicht, worum es da eigentlich geht. Bei mir ging es wie ein Stummfilm an meinem Leben vorbei. Trotzdem bin ich froh, wenigstens jetzt durch die Gebärdensprache meinen Platz in der Kirche gefunden zu haben.“