So ganz bis ins letzte Detail wissen Befürworter und Gegner des umstrittenen Handelsabkommens TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) ja immer noch nicht, was die EU und die USA alles genau verhandeln. Das verriet die seit November amtierende EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström auch bei ihrem Wien-Besuch am Dienstag nicht. „Wir können das nicht bis in jede Einzelheit vor laufenden Kameras machen“, warb sie um Verständnis für die „größtmögliche“, eben nicht totale Transparenz im wichtigsten Wirtschaftsabkommen, das die Europäische Union je verhandelt hat. Und „wahrscheinlich“, wie es die Schwedin formulierte, dürfen dann auch die nationalen Parlamente darüber abstimmen, wenn es fertig ist.
Malmström hatte sich erst im Parlament, vor dem Gegner ein trojanisches Pferd aufgefahren hatten, einer nicht öffentlichen Debatte gestellt. Am Nachmittag legte sie dann auch in einer öffentlichen Diskussion ihre Standpunkte dar und versprach: „Wir werden kein Abkommen abschließen, von dem wir nicht überzeugt wären, dass es gut ist.“
Spätestens nach dem Redemarathon dürfte der Schwedin klar geworden sein, dass sich in Österreich der Widerstand vor allem gegen die Investitionsschutzklauseln längst nicht mehr auf Organisationen wie Attac oder Greenpeace beschränkt, wenn künftig tatsächlich Schiedsgerichte anstelle der ordentlichen Gerichte über Konzerninteressen bescheiden sollten.
Bundeskanzler Werner Faymann hat dazu inzwischen Bedenken angemeldet, obwohl er ursprünglich für die Aufnahme der Investklauseln in das Abkommen gestimmt hatte.
Dass der Investitionsschutz ein „Knackpunkt“ werde, räumte auch Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) bei der Diskussion in der Akademie der Wissenschaften ein. Mitterlehner, expliziter TTIP-Befürworter - „der Einzige in der Regierung“, wie er sagte - forderte „eine qualitative Verbesserung des Investitionsschutzes, weil sonst die Akzeptanz in Österreich fehlt“. Von einem „gut gemachten Abkommen“ werde Österreich aber profitieren. Die Diskussion um die Kennzeichenverordnung bei Lebensmitteln sei noch zu führen, grundsätzlich könne es zu keiner Senkung österreichischer Standards kommen. Er erwarte allerdings auch eine gewisse Qualität in der öffentlichen Diskussion. „Manchmal denke ich, es geht um einen Angriff aus dem All.“
Arbeiterkammer-Präsident Rudi Kaske warnte Malmström: „Es gibt noch genug Zeit, die Bedenken ernst zu nehmen. Versäumt die EU das, werden die Proteste zunehmen.“ Rechtsstaatlichkeit habe eindeutig Priorität vor Investorenrechten. In dieser Phase gehe es aber noch lange ums Verhandeln und noch nicht um Rufe nach einer Volksabstimmung - wie sich das nach der FPÖ inzwischen auch die Grünen vorstellen können.
Positiv nahm Malmström einen Vorschlag von Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit auf. Er plädiert für die Schaffung eines eigenen Internationalen Gerichtshofs für strittige Investitionsfragen als Alternative zu den Schiedsgerichten, die sich als „Privatgerichte“ einer internationalen Klagsindustrie entpuppen könnten.
Weder Europa noch die USA wollten ihre Standards senken, beteuerte Malmström. Es werde Bereiche ohne gemeinsame Standards geben, so bleibe etwa Hormonfleisch verboten. Wo es Einigungen gebe, werde die Wirtschaft durch wegfallende doppelte Normverfahren und Qualitätsprüfungen profitieren. Europa brauche diese Impulse notwendig. In einer Welt, in der Europas Einfluss schwinde, sei TTIP ein Vorteil. „Dann gibt es die Chance, diese Regeln auch als globale Kriterien festzulegen.“
CLAUDIA HAASE