Die Welt schaute nun auf den für eine Woche verstopften Suezkanal – der "Pfropfen" war das 400 Meter lange Containerschiff "Ever Given". Die Blockade des Nadelöhrs – Wasserweg zwischen Rotem Meer und Mittelmeer – führte dazu, dass sich Hunderte Schiffe auf beiden Seiten stauten.

Darunter: Ein Dutzend rumänische Frachter, die von Midia in Rumänien und von Cartagena in Spanien ablegten und schließlich mit lebenden Tieren feststeckten – nach Angaben von Tierschützern waren es insgesamt 130.000 Schafe: Wäre der Suezkanal weiter blockiert gewesen, wäre die Katastrophe an Bord der Frachter ob Hitze und drohender Seuchen vorprogrammiert gewesen – trotz Beteuerungen rumänischer Behörden, dass man noch für Tage Futter und Wasser gehabt hätte.

Der Suez-Stillstand auf Zeit lenkte den Blick auf etwas, das seit Jahrzehnten Usus ist: Lebendtiertransporte über die Meere im großen Stil, wie Gabriel Paun von der Organisation Animals International im Interview bestätigt: "Es gibt keine veterinärmedizinische Versorgung an Bord, wenn Tiertransporte aus Europa auf See in Drittländer unterwegs sind. Die europäischen Gesetze sind strenger für den Transport auf der Straße innerhalb der Europäischen Union. Sind die Tiere einmal auf einem Schiff, ist die Situation außer Kontrolle."



Paun nennt das Hauptmotiv für die von Tierschützern scharf kritisierten Lebendtier-Exporte: "Tiere aus der EU zu importieren, ist meist günstiger, als es die Produktion in arabischen Ländern wäre – trotz der Transportkosten und der beträchtlichen Sterblichkeit während der Überschiffung." Vornehmlich werden Rinder, Schafe und Ziegen per Schiff transportiert. Einst verliefen die Hauptrouten von Australien und Neuseeland nach Nordafrika und in den Mittleren Osten. "Seitdem Neuseeland den Export von Schlachtvieh verboten hat und Australien strengere Regularien einführte, sind hier Europa und Südafrika verstärkt im Geschäft", erklärt Paun die Mechanismen des Marktes.



Eva Rosenberg, Direktorin von Vier Pfoten, hält fest, dass auch Österreich hier mitmache: Dieses exportiere mehr Tiere in EU-Staaten als in Drittländer, allerdings sei "nicht ausgeschlossen, dass Tiere aus Österreich nach einem kurzen Zwischenstopp oder auch direkt in Drittstaaten weitertransportiert werden. Besonders Spanien ist im Fokus, wohin auch männliche Kälber aus Österreichs Milchindustrie gehen."



Laut Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage an das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz exportierte Österreich im vergangenen Jahr lebende Rinder etwa nach Algerien, Armenien, Bahrain, Georgen, Iran und Marokko. Nach Algerien kamen aus unserem Land in den Jahren 2016 bis 2020 3514 Rinder, in den Iran 4451. Spanien gilt als eine Drehscheibe für Lebendtiere aus der EU in Drittländer. Von dort werden nicht nur spanische Tiere exportiert: Im Jahr 2019 etwa verschiffte Spanien rund 147.000 Rinder und etwa 750.000 Schafe aus etlichen EU-Staaten auf die andere Seite des Mittelmeeres.

2017 wurden erstmals mehr als eine Million Lebendtiere aus der EU exportiert, wie der Tierarzt und langjährige Tiertransport-Kontrolleur Alexander Rabitsch im Gespräch bestätigt: Vor allem in Schwellenländern werde der Fleischhunger laut OECD bis zum Jahr 2050 wachsen. Der Kärntner, Konsulent der Animal Welfare Foundation und einer der gefragtesten Experten Europas, wenn es darum geht, Veterinäre und Polizisten für Kontrolle und Abfertigung von Tiertransporten zu schulen, bilanziert: Wachsende Einkommen erhöhen in Schwellenländern die Nachfrage, die in Europa gesättigt scheint. Maghreb-Staaten sind ein Hauptabnehmer – so sind etwa Transporte von Irland nach Libyen keine Seltenheit. Vom Verladehafen Marseille in Südfrankreich aus werden indes Lebendtiere per Schiff in die Türkei gebracht – und noch mehr auf dem Landweg.



Rabitsch wird deutlich: "Aus den Augen, aus dem Sinn", so verfahre die EU mit der "Ware Tier" sobald diese Europa verlassen hat. Er betont, dass das Leid der im Bestimmungsland angekommenen Tiere meist noch nicht zu Ende sei: So müssten etwa jene Lkws in Marokko, mit denen Tiere aus Europa weitertransportiert werden, europäischem Recht entsprechen, was aber nicht der Fall ist. Und: "Rinder, die in weiterer Folge zu Zuchtzwecken in Haltungsbetriebe in diesen Ländern gebracht werden, leiden ab 25 Grad unter Hitzestress." Er betont, dass man sich über die Preise für Fleisch in Europa Gedanken machen müsse: "Wir haben hier längst etablierte Exportrouten und Systeme. Ein echter Ansatz, um entgegenzusteuern wäre es, Bauern gerecht zu entlohnen – mit der Hoffnung, dass sie dann weniger für den Export produzieren."

Rosenberg von den Vier Pfoten: "Der EuGH hat 2015 geurteilt, dass die Tiertransportverordnung bis zum Zielort eingehalten werden muss. Das gilt auch für Schiffstransporte. Fragen, die dazu im vom Europaparlament eingesetzten Untersuchungsausschuss gestellt worden sind, wurde ausgewichen, was die Planlosigkeit der Behörden unterstreicht." Sie übt sich trotzdem in leiser Hoffnung: "Die EU hatte sich stets sehr verhalten zu Lebendtiertransporten geäußert. Die neue EU-Kommission kündigte aber – endlich – an, die Gesetzgebung zu überarbeiten."

Für Rabitsch ist die EU-Kommission in der Problematik seit Jahren "säumig". Der Untersuchungsausschuss werde das Thema aber völlig neu aufrollen, zeigt er sich zuversichtlich.