Erst mit mehreren Stunden Verspätung konnten die Fachleute des Weltklimarats IPCC an diesem 4. April 2022 in Genf vor die Kameras treten. Zuvor hatten die Autorinnen und Autoren des dritten und letzten Teils des aktuellen, sechsten Weltklimaberichts tagelang mit den Abgesandten von 195 Staaten um jene Formulierungen gerungen, die Eingang in die "Zusammenfassung für Entscheidungsträger" finden sollten. Es handelt sich dabei um die 63 Seiten umfassende Kurzversion des frisch fertiggestellten dritten Teils des sechsten Weltklimaberichts, die Politikern künftig als fachliche Handlungsgrundlage dienen soll, wenn es um das Bremsen des Klimawandels geht.

Im Gepäck hat der Bericht vor allem eine Botschaft: "Wir befinden uns an einer Abzweigung. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sicherstellen", wie es der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee formuliert. Die Forscher weisen darauf hin, dass die Pariser Klimaziele nur noch erreichbar bleiben, wenn die globalen Treibhausgasemissionen "allerspätestens" ab dem Jahr 2025 zu sinken beginnen. Geschieht das nicht, dürfte der Zug für das Ziel, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 und möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, abgefahren sein. "Es gilt jetzt oder nie", sagt Jim Skea, Co-Vorsitzender der für den Bericht verantwortlichen Arbeitsgruppe. Ohne "sofortige und tiefgreifende Emissionsreduktionen in allen Sektoren" sei es unmöglich, die 2015 in der französischen Hauptstadt feierlich verabschiedeten Zusagen noch einzuhalten.

Emissionen stiegen vorerst weiter

Bislang allerdings steigen die weltweiten Treibhausgasemissionen, anstatt zu sinken. Nie in der Geschichte wurden mehr Treibhausgase ausgestoßen als im Jahrzehnt 2010 bis 2019, heißt es im Bericht. Im Jahr 2019 sind die Emissionen mit insgesamt rund 59 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent um 12 Prozent höher gelegen als 2010 und um 54 Prozent höher als noch 1990. In Summe hat die Welt zwischen 2010 und 2019 allein 17 Prozent aller historischen CO2-Emissionen (seit 1850) verursacht. Kleiner Lichtblick: Zumindest der jährliche Emissionszuwachs war im abgelaufenen Jahrzehnt mit durchschnittlich 1,3 Prozent geringer als in den zehn Jahren davor (2,1 Prozent). IPCC-Vorsitzender Hoesung Lee führt diesen Effekt auch auf die Klimaschutzbemühungen in vielen Staaten zurück, die ermutigend seien.

Erforderlich ist allerdings nicht ein geringerer Anstieg, sondern ein deutlicher Rückgang der Emissionen. Um das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten, müsste der weltweite Treibhausgasausstoß bis 2030 um 43 Prozent sinken. Für das 2-Grad-Ziel ist laut den Forschern bis 2030 eine Reduktion von rund einem Viertel der Emissionen erforderlich. Spätestens in den frühen 2050ern (1,5-Grad-Ziel) bzw. in den 2070ern (2-Grad-Ziel) muss zudem der weltweite CO2-Ausstoß bei netto Null liegen, darf also nicht mehr Treibhausgas in die Atmosphäre eingebracht werden, als die Biosphäre des Planeten wieder aufnehmen kann.

Wie die Übung gelingen soll

Nötig ist dafür laut den Autoren, den Einsatz von Öl, Kohle und Erdgas substanziell zu reduzieren, Energiesysteme zu elektrifizieren, die Energieeffizienz voranzutreiben und alternative Brennstoffe wie Wasserstoff einzusetzen. Städte sollten kompakt und fußgängerfreundlich gestaltet und mit elektrifizierten Transportmitteln ausgestattet werden. Vor allem im Gebäudesektor seien die Handlungen in diesem Jahrzehnt entscheidend. "Wir sehen bereits Beispiele von Null-Energie- und Null-Emissions-Gebäuden in allen Klimazonen", sagt Skea. Im besonders anspruchsvollen Bereich der Industrie, der weltweit rund ein Viertel der Emissionen verursacht, könne eine Emissionsreduktion laut den Autoren nur mit effizienterem Materialeinsatz, stärkerer Wiederverwendung und höheren Recyclinganteilen von Produkten einhergehen.

Mehr Mittel für die Klimawende

Finanziell sei die weltweite Wende bei den Emissionen machbar, heißt es im Bericht. Um zumindest das 2-Grad-Ziel zu gewährleisten, müssten die einschlägigen Finanzflüsse in den Klimaschutz bis 2030 allerdings um den Faktor drei bis sechs in die Höhe geschraubt werden. Um diese Investitionslücken zu schließen, sei global jedenfalls ausreichend Finanzkapital vorhanden. Die Mittel entsprechend umzuleiten, würde der weltweiten Wirtschaftsleistung bis zur Mitte des Jahrhunderts einige Prozentpunkte an Wachstum nehmen. Gegengerechnet mit den solcherart verhinderten Klimaschäden, dürfte die Bilanz aber anders aussehen, halten die Autoren fest.