Dem Volk der Yanomami im Amazonas-Gebiet geht es sehr schlecht. "Wie im Film Avatar leben die Menschen hier noch nackt", sagt der Jurist und Indigenen-Experte René Kuppe von der Forschungsgruppe Lateinamerika (Uni Wien) über das Volk. Seit Generationen lebte es in extremer Abgeschiedenheit. Doch ihr Überleben ist bedroht – durch Eindringlinge, die nach Gold suchen und Krankheiten einschleppen. Jetzt geht die neue Regierung Brasiliens endlich in einer "Aktion scharf" gegen die illegalen Goldgräber vor, die den indigenen Yanomami eine Gesundheits- und Hungerkrise beschert haben. 

Schwer bewaffnet fahren Einsatzkräfte mit Booten den Amazonas-Flusslauf hinauf und versuchen fliehende Männer zu verhaften, die hier bis vor Kurzem Gold abgebaut haben: 500 Polizisten und Soldaten sind bei der Aktion im Einsatz.

Das begehrte Flussgold lockt Goldgräber im gesamten Amazonas-Gebiet an. Tonnen werden davon jedes Jahr abgebaut und aus dem Regenwald gebracht. Um das wertvolle Metall zu lösen, verwenden die Goldgräber Quecksilber, das später in den Gewässern landet.

Die Yanomami ernähren sich traditionellerweise von Fisch. Weil die Gewässer durch den Goldabbau verseucht sind, werden sie davon krank. Kochbananen werden ihnen von den Feldern gestohlen, der Lärm der Goldgräber vertreibt das Wild. Die Eindringlinge bringen Krankheiten wie Covid, die Grippe und Malaria in das Indigenen-Schutzgebiet. Das Trinkwasser ist verseucht. Die Lage ist so katastrophal, dass die brasilianische Polizei wegen des Verdachts eines Völkermordes Ermittlungen aufnahm. Auch andere Gräueltaten wie Vergewaltigungen und Morde werden den Goldgräbern angelastet.

Die Yanomami leben abgeschieden und ursprünglich. Viele hatten noch nie Kontakt mit der modernen Zivilisation.
Die Yanomami leben abgeschieden und ursprünglich. Viele hatten noch nie Kontakt mit der modernen Zivilisation. © APA/AFP/MICHAEL DANTAS

Goldrausch im gesamten Amazonas-Gebiet

Die Goldgräber zerstören nicht nur den Lebensraum der Yanomami. Auch kleinere Indigenen-Stämme, etwa die Munduruku, sind betroffen. Aber die Yanomami leiden besonders, weil sie so abgeschieden leben und es so viele gibt. Neben den Menschen spüren auch die Natur und Tiere die Folgen des Goldrausches. Die Zerstörung ist sogar auf Luftaufnahmen sichtbar. "Diese Situation ist seit Jahren bekannt, aber es wird nichts dagegen getan", kritisiert Kuppe. Bereits 2021 brachte er deshalb gemeinsam mit fünf anderen Österreichern Anzeige beim Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" ein.

Die neue brasilianische Regierung geht jetzt gegen die illegalen Goldgräber vor. Das Elend der Indigenen soll nicht länger hingenommen werden. Diese Woche starteten die Indigenen-Behörde Funai, die Umweltbehörde Ibama und Sicherheitskräfte des Justizministeriums eine gemeinsame Aktion gegen die Goldgräber. Die Einsatzkräfte zerstörten unter anderem einen Helikopter und ein Flugzeug der Eindringlinge. Außerdem wurden Waffen, Boote und Tausende Liter Treibstoff sichergestellt.

Auch im benachbarten Kolumbien wird der Regenwald von den Goldgräbern zerstört
Auch im benachbarten Kolumbien wird der Regenwald von den Goldgräbern zerstört © APA/AFP/DANIEL MUNOZ

Fliehende "Garimpeiros"

Aufnahmen zeigen, wie mutmaßliche Goldgräber – sie werden "Garimpeiros" genannt – aus dem Gebiet fliehen. Weil die Luftwaffe den Luftraum über dem Yanomami-Gebiet überwacht, versuchten in den letzten Tagen immer mehr Goldgräber das schwer zugängliche Gebiet zu Fuß oder per Boot zu verlassen. Das Einsatzkommando der Regierung hat auch eine Kontrollstation am Fluss Uraricoera errichtet, um die Versorgungs- und Transportwege der Goldgräber zu unterbrechen.

20.000 Garimpeiros hielten sich zuletzt im Indigenen-Schutzgebiet auf. Bereits 1991 gab es ein Massaker durch brasilianische Goldsucher, bei dem 40 Menschen starben. Danach wurde das Gebiet besonders geschützt. "So schlimm wie jetzt war es noch nie", sagt Kuppe. Der letzte Präsident Jair Messias Bolsonaro habe die Goldsuche und die wirtschaftliche Nutzung des Regenwaldes aktiv vorangetrieben. Die brasilianische Verfassung schützt das Yanomami-Gebiet zwar, aber Bolsonaro hat die zuständigen Behörden finanziell ausgehungert. In der Folge konnten sich die kriminellen Goldsucher im Indigenen-Schutzgebiet ungehindert ausbreiten.

Geldwäsche und organisiertes Verbrechen

Die Garimpeiros gehören zum organisierten Verbrechen, weiß Kuppe. Die Drahtzieher seinen auch in den internationalen Waffenhandel, Prostitution sowie den illegalen Holz- und Drogenhandel verwickelt. "Gold ist ein wichtiges Mittel für Geldwäsche, weil es dabei hilft, Gewinne zu verschleiern", sagt Kuppe. Auch in österreichischen Juweliergeschäften wird Gold verkauft, das aus dem Yanomami-Gebiet stammt. „Wir brauchen eine Lieferkettenregelung, damit wir sehen, woher die Rohstoffe kommen und ob da Blut dranklebt“, sagt Kuppe.

Die aktuelle Notlage der Volksgruppe veranlasste die brasilianische Bundespolizei dazu, eine Untersuchung wegen des Verdachts auf Völkermord und unterlassene Hilfeleistung einzuleiten.

Beamte der Umweltbehörde zerstören eine illegale Einrichtung der Goldgräber.
Beamte der Umweltbehörde zerstören eine illegale Einrichtung der Goldgräber. © AP

Ist Bolsonaro schuld am Elend der Indigenen?

Der neue brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der seit Jänner im Amt ist, gibt seinem rechten Amtsvorgänger Bolsonaro die Schuld an der Notlage der Yanomami. Dessen Amazonas-Politik habe die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in dem Gebiet unterstützt und die Situation der Yanomami verschlimmert, meint er. Der Yanomami-Führer Júnior Hekurari bezeichnete Bolsonaros Politik kürzlich als "Regierung des Blutes".

Wo früher Regenwald war, weiden jetzt Rinder
Wo früher Regenwald war, weiden jetzt Rinder © APA/AFP/JOAO LAET

Tatsächlich hat Bolsonaros Politik deutliche Spuren im Amazonas-Gebiet hinterlassen. Nach Schätzungen wurden während seiner Amtszeit jährlich 50 Tonnen Gold geschürft. Ein großer Teil davon stammt aus dem Gebiet. Allein in den ersten drei Jahren seiner Amtszeit ging durch Abholzung eine Fläche verloren, die größer als Belgien ist. Dazu kamen Waldbrände, die mit 70 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit in Gebieten vorkamen, die für Rindfleisch-Produzenten als Weidegebiete interessant sind. Der Regenwald beherbergt viele Tiere und Pflanzen, die sonst nirgendwo vorkommen. Die "grüne Lunge" bindet große Mengen des Klimagases CO₂ und ist für das Weltklima sehr wichtig.

Der neue Präsident Lula da Silva verspricht, wieder mehr für den Schutz der Indigenen und des Regenwaldes zu tun. Bei seinem Wahlsieg im November 2022 verkündete er: "Brasilien ist bereit, seine Rolle im Kampf gegen die Klimakrise wieder aufzunehmen und alle Ökosysteme, insbesondere den Amazonas, zu schützen." In Bezug auf die Lage der Yanomami spricht auch Lula von "Völkermord".