Im Kanzleramt und im Gesundheitsministerium werden Weichen gestellt. Dort entscheiden Politiker und Expertinnen regelmäßig, wie es in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen Österreichs weitergeht. Den Amateursport haben die Verantwortlichen vor Langem auf ein Abstellgleis manövriert. Dort ist er in eine Art Dornröschenschlaf versunken und wie es scheint mittlerweile vergessen. Stellt sich die Frage, warum eigentlich?

Die Antwort ist erschreckend einfach: „Alles Expertinnen- und Expertenwissen leitet sich von der Virologie ab. Das ist unerträglich.“ So drückt es die Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher-Holzhacker in einem Statement in Ö 1 aus. Einen Schritt weiter geht Michael Gekle von der Universität Halle: „Gesundheit ist das Wichtigste und sonst zählt nichts. Ein pauschales Schlagwort, das am Ende des Tages nicht stimmt. Wenn man gesund ist und nur noch zu Hause sitzt, ist das keine Alternative.“

Die Sicht auf die Welt durch die Brille der Virologie kann zu bitteren Kollateralschäden führen. Immer mehr Studien zeigen, welch enormen psycho-sozialen Belastungen Kinder, Jugendliche und Erwachsene ausgesetzt sind und dass diese mit fortwährender Dauer der Beschränkungen zunehmen. So berichtet eine Studie der Donau-Uni Krems vom sprunghaften Anstieg von depressiven Symptomen bei 18- bis 24-Jährigen. Jeder Zweite dieser Altersgruppe leidet darunter. Eine Erhebung der Universität Salzburg ermittelt die 18- bis 29-Jährigen als jene Altersgruppe, die am meisten Angst vor Langzeitfolgen hat.

Der Neurowissenschaftler Manuel Schabus erklärt im ORF: „Die permanent düsteren Prognosen jagen den Menschen zu viel Angst ein. Da ist gründlich etwas schiefgelaufen. Das ist schon wirklich massiv. Das kann man vielleicht zwei, drei Monate durchstehen, aber über einen so langen Zeitraum ist das wirklich problematisch. Dieser Dauerbedrohungszustand ist wahnsinnig schädlich.“

Sonderregelungen für die Eliten

Ein höchst alarmierendes Detail aus motivationspsychologischer Sicht, das im Zusammenhang mit den Ergebnissen vieler Studien steht, zeigt, dass die per Verordnungen und politischen Parolen zum Aus- und Durchhalten gezwungenen Menschen die vielen Ausnahmen sehen, die es trotzdem gibt. Sie erleben, dass diese Sonderregelungen meist für jene Teile der Gesellschaft gelten, die ohnehin schon bevorzugt sind: für die Eliten.

Da der Geist nicht vom Körper getrennt werden kann, bleibt dieses Erleben für viele nicht ohne Folgen, die sich in zwei große Richtungen entwickeln können. Einerseits kann sich das Gefühl von Machtlosigkeit und Ohnmacht einstellen, das in Richtung Depressionen führen kann. Andererseits bauen sich Wut und Aggression auf, wie man dieser Tage am Verhalten vieler Menschen bei Demonstrationen beobachten kann.

Flasche Signale

Vergessen scheint auch, welchen Beitrag der Sport in Amateurvereinen vor Corona für die Entwicklung gerade der Jüngeren in unserer Gesellschaft geleistet hat. Aktuell wird ersichtlich, wie weit hinten er in der Priorität der Entscheidungsträger liegt. Das zeigt etwa ein Interview mit LH Wilfried Haslauer (SN, 13. Februar 2021). Besprochen werden Themen rund um Corona. Natürlich die Osterfestspiele, „die einen sehr klugen Schritt gemacht haben“, weil sie alles auf ein sehr attraktives Vier-Tage-Programm an einem Wochenende reduziert hätten. Und die Festspiele im Sommer. „Für die haben wir ein ganz normales Programm geplant.“ Unabhängig von der hohen Qualität dieser Veranstaltungen ist anzumerken, dass sich diese nicht an die breite Masse, sondern an einen kleinen, elitären Kreis der internationalen Gesellschaft richten. Vom Amateursport im Freien spricht Haslauer nicht.

Dabei zeigen Studien, dass die Gefahr, sich mit Corona auf einem Spielfeld im Freien anzustecken, sehr gering ist. Tim Meyer, Vorsitzender der Medizinischen Kommission des DFB: „Übereinstimmendes Ergebnis war, dass während des Fußballspielens die Dauer der engen Kontakte so kurz ist, dass es eigentlich auf dem Spielfeld kaum zu Infektionen kommen kann“. Unterstützt wird diese These durch zwei weitere Erkenntnisse. Eine Studie der Universität Berkeley bestätigt, dass das Risiko, sich mit dem Sars-CoV-2 zu infizieren, im Freien deutlich geringer ist als in geschlossenen Räumen. Das Projekt „Restart“ an der Universität Halle untersuchte, unter welchen Bedingungen Kulturveranstaltungen in geschlossenen Räumen wieder stattfinden könnten, und kam zu dem Schluss, dass die entscheidende Maßnahme darin besteht, den Raum „mit genügend Frischluft zu versorgen“.

Gleichheitsgrundsatz wackelt

Führt man sich diese Erkenntnisse vor Augen, stellt sich die Frage, weshalb ein Training im Freien im Amateursport nicht erlaubt ist. Zusätzliche Brisanz erhält diese Thematik durch die Tatsache, dass einige wenige aus dem Amateursport doch trainieren dürfen. Zum Beispiel Schüler des Schulsportmodells. Das führt dazu, dass Spieler eines Teams regelmäßig trainieren, andere Sportler derselben Mannschaft dies aber nicht dürfen. Das ruft den in der Verfassung niedergeschriebenen Gleichheitsgrundsatz in Erinnerung. Es könnte sein, dass die Verordnungen der Regierung diesbezüglich gegen ihn verstoßen – es wäre nicht die erste Verordnung, die sich im Nachhinein als verfassungswidrig herausstellt.

Bedenkt man dann noch, dass junge Menschen völlig unkontrolliert vielerorts trotzdem in Gruppen Sport betreiben, dann könnte man auf die Idee kommen, das Training im Amateursport im Freien unter kontrollierten Bedingungen wieder zu erlauben. An Vorschlägen zur Umsetzung mangelt es nicht. Viele Konzepte diverser Amateurvereine sind wesentlich besser als etwa jenes der Landesausbildungszentren. Und dass die Vereine diese Konzepte umsetzen können, haben sie im Herbst 2020 bereits bewiesen.

Drei große Auswirkungen

Wenn Amateurteams im Freien wieder trainieren dürfen, hat das zumindest drei große Auswirkungen: Erstens wird der enormen psychischen Belastung eine tatsächliche Entlastung entgegengesetzt. Hier spielen die Erlaubnis, meinem Hobby nachgehen zu dürfen, die Auswirkungen der sportlichen Aktivitäten sowie das stärkende soziale Umfeld in den Mannschaften eine besondere Rolle.

Zweitens kann die Testdichte deutlich erhöht werden. Die meisten Amateursportler werden sich regelmäßig testen lassen, um ihrem Hobby nachgehen zu dürfen. Diese positive Einstellung zum Testen kann sich in Folge auf die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, ebenfalls günstig auswirken.

Drittens wird dafür gesorgt, dass in die Amateurvereine wieder Leben zurückkehrt, vielleicht doch nicht so viele junge Sportlerinnen und Sportler „das Handtuch werfen“. Die FAZ schreibt am 11. Februar 2021, dass sich 52,4 Prozent der 90.000 kleineren Sportvereine in Deutschland davor fürchten, heuer in „eine existenzbedrohende Lage“ zu geraten.

Weichen müssen rasch gestellt werden

Freilich löst die Erlaubnis, im Amateursport im Freien wieder trainieren zu dürfen, nicht alle coronabedingten Probleme. Und ja, ein geringes Risiko, sich zu infizieren, besteht. Wiegt man jedoch die positiven Auswirkungen und die Risiken ab, könnte man zur Erkenntnis gelangen, dass man hier einen gewaltigen Hebel in der Hand hat. Es ist wünschenswert, dass die Entscheidungsträger die Weichen für den Amateursport rasch neu stellen und sich nicht am Märchen orientieren. Denn Dornröschen soll ja hundert Jahre geschlafen haben, bevor es der Prinz wachgeküsst hatte.