Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Dienstag mit Verweis auf die Ausnahmesituation um "Nachsicht" gebeten und gemeint, Juristen sollten Fragen in diesem Bereich "nicht überinterpretierten".

Ein Überblick über die größten rechtlichen Bedenken:

Widerspricht Verordnung Covid-Maßnahmengesetz?

Eine heikle Frage ist, ob bereits die für die Ausgangsbeschränkungen maßgebliche Verordnung des Gesundheitsministers vom 16. März rechtswidrig ist. Sie fußt auf dem ersten Covid-Maßnahmengesetz, durch das die Regierung ermächtigt wird, "das Betreten von bestimmten Orten" zu untersagen. Der Initiativantrag dazu präzisiert, dies könnten Kinderspielplätze, Sportplätze, See- und Flussufer oder konsumfreie Aufenthaltszonen sein. In der Verordnung wird aber der gesamte öffentliche Raum zur verbotenen Zone erklärt. Damit dürfte der Gesundheitsminister den Wortlaut der vom Parlament erhaltenen Ermächtigung überdehnt haben.

"Die Verordnung dreht das vom Gesetz vorgesehene Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Erlaubnis (Regel) und Verbot (Ausnahme) um. Die Verordnung ist daher gesetzwidrig", schreibt der Europarechtler Stefan Griller von der Universität Salzburg in der "Presse". Der Rechtsanwalt Alfred Noll sieht einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip, wonach die gesamte Verwaltung nur auf Basis von Gesetzen ausgeübt werden darf. "Es ist eine überschießende Verordnung", meinte er im APA-Gespräch.

Gibt es unpräzise Formulierungen?

Sollte man trotzdem zu dem Entschluss kommen, die Verordnung wäre durch das Gesetz gedeckt, müsste die Formulierung der "Betretungsverbote" genauer betrachtet werden. Denn ein so tiefer Eingriff wie eine De-facto-Ausgangssperre mit wenigen Ausnahmen bräuchte eine unmissverständliche gesetzliche Grundlage. Gerade die letzte der aufgezählten Ausnahmen ist aber vage gehalten: der Aufenthalt an öffentlichen Orten im Freien "alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren". Welche Tätigkeiten genau fallen darunter, was nicht? "Der Verfassungsgerichtshof hat schon Gesetze aufgehoben, weil er gesagt hat, sie waren nicht genau determiniert", erklärt Noll dazu.

Sind die Eingriffe nicht angemessen?

Wenn man die eigene Wohnung nur in Ausnahmefällen verlassen darf, sind das Recht auf Freiheit, das Recht auf Freizügigkeit der Person und die Aufenthaltsfreiheit massiv eingeschränkt. Laut Aussagen der Regierung leitet sich daraus auch ab, dass die eigenen Eltern, Kinder, Großeltern, Enkelkinder oder andere Verwandte nicht getroffen werden dürfen, sofern sie nicht im gleichen Haushalt leben. Damit wird auch das Recht auf Familien- und Privatleben beschnitten. Durch die weitgehende Stilllegung der Wirtschaft sind zudem die unternehmerische Freiheit und die Berufsfreiheit angegriffen. Betroffen sind auch das Recht auf freie Verfügung über das Eigentum und die Versammlungsfreiheit.

All diese Rechte bilden das Herzstück des Kanons der individuellen bürgerlichen Freiheiten, die etwa im Staatsgrundgesetz (StGG), in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder dem Zivilpakt der Vereinten Nationen festgeschrieben sind. Staatliche Eingriffe in diese Rechte sollten nur das allerletzte Mittel sein. Sie müssen sachlich gerechtfertigt sein und dürfen nicht über das angemessene Maß hinausgehen.

Werden gewisse Geschäfte bevorzugt?

Die ab Dienstag geltende Regelung, wonach kleine Geschäfte bis 400 Quadratmeter wieder geöffnet haben dürfen, größere - mit Ausnahme der Baumärkte - aber nicht, ruft ebenfalls Juristen auf den Plan. "Es gibt keinen sachlichen Grund, nicht auch größere Geschäfte zu öffnen, wenn dort die gleiche Beschränkung der Kundenzahl praktiziert wird", sagt der ehemalige Staatsanwalt Georg Krakow. Auf Basis des Gleichheitsgrundsatzes sei es zudem nicht gerechtfertigt, dass große Geschäfte ihre Kundenfläche nicht durch technische Barrieren wie Absperrungen verkleinern dürfen.

Sind Eingriffe per Erlass zulässig?

Sehr kritisch wird auch gesehen, dass Eingriffe in die Freiheit teilweise sogar per Erlass gesetzt wurden. Ein Erlass ist im österreichischen Recht eine Weisung einer Behörde an nachgeordnete Verwaltungsorgane. In einer gemeinsamen Erklärung stellen die Richter des Verwaltungsgerichtshof, des Bundesverwaltungsgerichts, der Verwaltungs- und der Finanzgerichte fest, dass das nicht ausreiche. "Bloße Erlässe stellen kein zulässiges Mittel für Eingriffe gegenüber Bürgern dar", heißt es darin.