Nach der Überschwemmungskatastrophe in Libyen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 4000 Todesopfer identifiziert worden. Für 3958 Verstorbene seien Sterbeurkunden ausgestellt worden, teilte die WHO am Samstag mit. Diese Zahl werde voraussichtlich noch steigen, weil Such- und Rettungsteams wohl weitere Leichen bergen würden.

Eine Gruppe aus libyschen Daten-Analysten und Forschern kam in einer aktuellen Zählung am Samstag ebenfalls auf etwa 4000 bestätigte Opfer. Über die Zahl der Toten unter anderem in der schwer getroffenen Stadt Darna gibt es seit Tagen widersprüchliche Angaben. Sie schwankten zwischen rund 5000 und bis zu 11.000. Die Regierung im Osten des Bürgerkriegslandes bezifferte die Zahl der offiziell registrierten Todesfälle mit 3.166. Deren Gesundheitsminister Othman Abdel Dschalil erklärte am Freitag nur Zahlen seines Hauses fortan für gültig. Die Zahl von 3.166 Toten werde wahrscheinlich steigen. Ein Sprecher des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (ICRC) in Libyen sagte, für verlässliche Todeszahlen sei es noch zu früh.

Durchfallerkrankungen steigen

Die Sorge vor möglichen gesundheitlichen Auswirkungen für die Bevölkerung wuchs vor allem in Darna. Bis Samstag wurden etwa 150 Durchfallerkrankungen gemeldet. Als Begründung nannte der Leiter des Zentrums für Krankheitsbekämpfung, Haidar al-Sajih, verschmutztes Trinkwasser. Für die Überschwemmungsgebiete habe das Zentrum einen Notfall für mindestens ein Jahr ausgerufen. In anderen Ländern seien Krankheiten und Epidemien teils noch neun Monate nach einer Katastrophe ausgebrochen.

Das Zentrum schlug vor, die Stadt Darna mit etwa 100.000 Einwohnern in drei Zonen einzuteilen: eine besonders "betroffene Zone" mit nur eingeschränktem Zugang. Dazu eine "verwundbare Zone", die Frauen und Kinder nicht betreten sollten, die das (männliche) Oberhaupt einer Familie aber bewohnen könne. Und schließlich eine "sichere Zone", die von den Überschwemmungen nicht betroffen sei und wo Vertriebene bleiben könnten. Unter keinen Umständen dürfe das Trinkwasser genutzt werden, da es sich mit Abwasser vermischt habe. "Die Lage wird in einer Woche oder einem Monat nicht beendet sein", sagte al-Sajih. Unter anderem steht die Furcht vor Cholera im Raum.

Unterdessen trafen in Benghazi am Samstag 29 Tonnen medizinische Hilfsgüter ein. Damit können fast 250.000 Menschen medizinisch versorgt werden, wie die WHO mitteilte. Darunter seien lebenswichtige Medikamente für chronische und übertragbare Krankheiten sowie Material zur Wundversorgung und für Notoperationen ebenso wie Leichensäcke. Das Material geht an Kliniken und Praxen in der Region.

Mindestens 35.000 Menschen haben ihre Unterkunft verloren

Von Benghazi in die teils zerstörte Stadt Darna sind es je nach Route zwischen 300 und 400 Kilometer. Nach den schweren Überschwemmungen gibt es nach Angaben der Rotkreuz- und Rothalbmondföderation (IFRC) nur eine befahrbare Zugangsstraße. Die neuen Hilfsgüter wurden von einem WHO-Lager in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emirate nach Benghazi geflogen. Eine erste Lieferung in ähnlichem Umfang war bereits aus WHO-Lagern in Libyen in das Katastrophengebiet gebracht worden. Laut WHO werden noch mehr als 9000 Menschen vermisst. Mindestens 35.000 hätten ihre Unterkünfte verloren.

Die Lage blieb auch eine Woche nach Beginn der Katastrophe unübersichtlich. Internationale Helfer beklagten einen Mangel an Koordination bei der Verteilung der verschiedenen Hilfslieferungen. "Es ist dringend eine Koordination der Hilfe nötig", berichtete die Organisation Ärzte ohne Grenzen am Freitagabend. Die Überlebenden benötigten jetzt vorrangig Unterkünfte, Nahrung und medizinische Grundversorgung wegen der Sorge vor Cholera und Mangel an sauberem Wasser, erklärte UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths in Genf. Die Rivalität zwischen den Regierungen im Osten und der im Westen des Landes erschwert laut Experten die Koordinierung der Hilfsmaßnahmen.