In Serbien regt sich Widerstand. Nach den Massenschießereien am 3. und 4. Mai bei denen 18 Menschen, darunter zehn Kinder, getötet wurden, protestieren seit drei Wochen Zehntausende gegen das Regime. Was als Protest gegen Waffenbesitz und Gewaltverherrlichung anfing, mit der Forderung, Sendern, die gewalttätige Inhalte zeigen, die Lizenz zu entziehen, richtet sich nun mehr gegen einen: Präsident Aleksandar Vučić.

Dieser verurteilt die Proteste, ruft stattdessen zur Gegendemonstration am kommenden Freitag auf. Mit Bussen will er alle Serbinnen und Serben, die auf seiner Seite stehen, vor das Regierungsgebäude nach Belgrad bringen lassen. Zuvor versprach Vučić eine „fast vollständige Entwaffnung“ im ganzen Land, die mutmaßlichen Täter bezeichnete er öffentlich als „Monstren, die das Gefängnis nie wieder verlassen werden“, in seinen Ansprachen wird er brutaler und beleidigend. Wie verzweifelt ist Vučić? Für Politikwissenschafter Vedran Džihić ist der amtierende Präsident nicht zu unterschätzen. Wenn auch die Nervosität in weiten Teilen der Regierung immer mehr zunimmt. Für viele stelle sich die Frage, was passiert danach? Abspaltungen innerhalb der Regierung seien laut Džihić nicht auszuschließen.

Über 9400 illegale Waffen wurden bisher abgegeben. Die Polizeiaktion geht bis 8. Juni
Über 9400 illegale Waffen wurden bisher abgegeben. Die Polizeiaktion geht bis 8. Juni © APA/AFP/Oliver Bunić

Der Vorteil für Vučić

Ein Vorteil für Vučić sei die fehlende Opposition. Zu den Protesten ursprünglich aufgerufen hatte die Mitte-Links Opposition. Aber es gibt „keine stark geeinte Front, keine Galionsfigur“, die sich gegen Vučić positioniert. „Wie will man die Energie dieser Massen politisch ummünzen? Darauf gibt es keine Antwort“, sagt Džihić und spricht stattdessen vom Phänomen der Stabilokraten, den sich auch der Westen zunutze mache. Das sind jene autokratischen Machthaber, die zwar wenig von Rechtsstaatlichkeit halten, paradoxerweise aber für politische Stabilität in den jeweiligen Ländern sorgen. Die Angst vor dem Unbekannten sei größer als die Angst vor Vučić. „Der Westen hat die Sorge vor einem Aufstieg der rechten Parteien.“

Ob die Proteste zu einem Sturz Vučićs führen könnten, sei schwer abzuschätzen. Die momentane Lage im Land erinnere stark an die Oktoberrevolution des Jahres 2000. Hunderttausende gingen auf die Straßen, um Slobodan Milošević zu stürzen. Diesmal sei es aber anders. Auch Vučić sei ein anderer im Gegensatz zum damaligen Machthaber Milošević: „Niemand weiß, wie weit Vučić bereit ist zu gehen. Wird die Regierung gestürzt, könnte Blut fließen. Wird neu gewählt, ist fraglich, ob Vučić das Resultat und somit einen Machtwechsel akzeptiert.“