Wenn sie nachts durch die Straßen Novi Sads spaziert und einer Gruppe Männern begegnet, lässt Milica die Hand ihrer Freundin los. Obwohl die 25-Jährige seit acht Jahren offen lesbisch ist, überwiegt die Angst, belästigt oder verprügelt zu werden nach wie vor. Ivan war schon einmal in dieser Situation. Er war mit Freunden in Zagreb unterwegs. Nach einer Party wollte er nach Hause, als plötzlich mehrere Männer auf ihn losgingen. Er konnte entkommen. Seit einigen Jahren lebt der Architekt in Berlin, dort fühlt er sich sicher. Doch jedes Mal, wenn er nach Kroatien kommt, hat er das Gefühl sich verstecken zu müssen.

Milica und Ivan sind queer und kommen vom Balkan. Einer Region, wo Kirche und rechtskonservative Politik einen starken Einfluss auf das Denken und Handeln der Gesellschaft haben und sexuelle Minderheiten nicht inkludieren. Was bedeutet das für Betroffene? "Wenn wir nachts unterwegs sind, vermeiden wir jegliche Berührungen. Aus Angst, wir könnten in jemandem Hass auslösen", berichtet Milica. Noch gefährlicher empfindet Ivan die Situation für Männer und Transpersonen: "Dass sich zwei Männer berühren, ist am Balkan noch immer stark stigmatisiert."

Ivan Lončar (29)
Ivan Lončar (29) © Privat

Beide erlebten in ihrer Vergangenheit Anfeindungen und Homophobie, behielten ihre sexuelle Orientierung lange Zeit für sich: "Mein Leben lang, habe ich ein erfundenes Leben geführt. Dass ich schwul war, wusste ich aber seit meinem sechsten Lebensjahr", erzählt Ivan. Auf das Outing folgte "der Schock" für seine Familie. "Niemand wollte anfangs darüber sprechen. Alle haben so getan, als wäre nichts passiert." So ging es vielen ihrer Freunde, die von ihren Erfahrungen erzählten. Die Mehrheit aber hat sich für ein Leben im Verborgenen entschieden. "Nur ein kleiner Teil meiner queeren Freunde hat sich vor den Eltern geoutet."

Ivans Familie fand nach einer Zeit wieder zueinander. Er zog dennoch nach Berlin: "Dort hat mein eigentliches Leben eine Renaissance erfahren." Auch Milica wird Serbien verlassen: "Ich habe keine Hoffnung für dieses Land. Wir ziehen nach Slowenien, um hoffentlich in Europa so leben zu können, wie wir sind."

Milica Crkvenjakov (25)
Milica Crkvenjakov (25) © Privat

Nach langem Hin und Her: Europride findet statt

Heute (17. September) findet nach langem Hin und Her doch die erste Europride-Parade in Belgrad statt. Vor knapp einem Monat sagte Präsident Aleksander Vučić die Pride aus Sicherheitsgründen zuerst ab. Die angespannte Lage um das Nachbarland Kosovo mache das notwendig. Dann ruderte er zurück. Die Pride dürfe stattfinden.

Das wiederum löste Empörung bei radikalen Gruppen und Vertretern des politisch-orthodoxen Christentums aus. In einer Predigt in der Heiligen-Sava-Kathedrale sagte Patriarch Porfirije, die Pride würde traditionelle Familienwerte bedrohen. Priester, Hooligans und Rechtsextreme demonstrierten in diesen Tagen mit Kreuzen, Ikonen und Fahnen gegen die sexuellen Minderheiten. Dann hieß es erneut, die Regierung verbietet die Pride. "Man habe sich im Einvernehmen mit der Regierung von Ministerpräsidentin Ana Brnabić, die selbst mit einer Frau zusammenlebt, dazu entschlossen, die Pride abzusagen." Erst gestern fiel die endgültige Entscheidung, die Pride darf stattfinden, jedoch in kleinerer Ausführung.

Zuletzt hat sich der Druck aus ganz Europa auf die serbische Regierung massiv erhöht, was zu dieser Entscheidung maßgeblich beigetragen hat. Wäre die Europride ersatzlos abgesagt worden, hätte das große Konsequenzen für den EU-Beitrittskandidaten Serbien bedeuten können. Viele EU-Abgeordnete haben sich angekündigt und werden an der Pride teilnehmen.

Ausschreitungen nicht ausgeschlossen

Auch Milica wird bei der Pride in Belgrad dabei sein, obwohl sie sich der Gefahr bewusst ist: "Ich weiß, dass sie alles Mögliche tun werden, damit wir uns fürchten, dort zu sein. Am gefährlichsten sind die Situationen, wo man allein unterwegs ist. Allen, die nach dem Marsch nach Hause gehen, rate ich Bänder, Flaggen und ähnliches abzunehmen."