Was erwarten Sie, was erwartet Italien von einer Regierung unter Mario Draghi?
OMAR MONESTIER: Man erwartet vor allem Seriosität! In Italien wird seit Jahren keine ernst zu nehmende Politik gemacht. Italien erwartet die Rückkehr von Kompetenz und Schluss mit Improvisation und Populismus, der, wie man auch in Österreich, Ungarn oder Polen sah, viele Schlagwörter hervorbringt, aber wenig Problemlösung. Italien erwartet eine Periode, wie wenn man aus einem Rausch erwacht.

In Österreich dachte man, die Italiener haben mit der Corona-Krise nicht genug und brauchen auch noch eine Regierungskrise.
Uns ist bewusst, dass die Österreicher und die Deutschen uns etwas seltsam sehen, aber wir sind auch nicht ganz so unzuverlässig. Wir sind nach Deutschland die zweitstärkste Industrienation Europas. Unser Problem ist die Verfassung, die nach Mussolini die Obsession des starken Mannes ausschließt, aber mit komplexer Konstruktion das Land auch unregierbar macht.

Mit Draghi wäre ein Experten- oder Politiker-Kabinett besser?
Wir wollen eine Regierung, die beides umspannt.
Was sind die größten Probleme, die Draghi lösen muss?
Zuerst die Impfung der Bevölkerung und Beherrschung der Pandemie mit sanitären Maßnahmen. Dann Steuer-, Ausgaben- und Verwaltungsreform.

Was verändert ein Mitregieren der populistischen Lega an Regierung und an der Lega selbst?
Das ist eine wichtige Frage. Wir glauben, dass die Lega beginnt, eine konservative Zentrumspartei wie die CDU oder die ÖVP zu werden. Aber sie ist antieuropäisch, was für uns nicht gut ist. Daher hoffen wir, dass die Lega in einer Regierung Draghi etwas näher an Europa heranrücken würde.

Eine interessante Evolution. Erwarten Sie mehr Stabilität?
Ja, es ist eine Entwicklung, wo linke Zentrumsparteien und die moderate Rechte wie in Deutschland als Koalition von Links- und Rechtszentristen gemeinsam regieren. Ohne Fratelli d´Italia am extremen rechten und Liberi e Uguali, LeU, am linken Rand.

Wo lag im Scheitern der Regierung Conte das Problem, 250 Milliarden Euro EU-Hilfe in Italien zu verteilen?
Ihr Österreicher solltet nicht immer glauben, wir Italiener könnten ohne euch die Löhne nicht zahlen oder wären lauter Gauner. (Lacht) Wir sind nicht so! Contes Problem mit dem Einsatz der Mittel war, dass er über Infrastruktur hinaus die drei Prioritäten nicht traf: Bildung, digitale Entwicklung und die junge Generation.

In der Europäischen Zentralbank öffnete Draghi - whatever it takes - alle Geldschleußen. Droht Italien mit ihm eine noch höhere Verschuldung?
Nein! Draghi hat den Euro gerettet und die europäischen Staaten vor einem übermächtigen Deutschland bewahrt. Als Regierungschef würde es ihm nützen, dass er als Ex-EZB-Präsident mit Europa vertraut ist. Adolf Winkler