Das erste schwimmende Atomkraftwerk der Welt ist laut Medienberichten heute in See gestochen. Die "Akademik Lomonossow" ist am Freitag aus dem Hafen von Murmansk ausgelaufen - mit Hilfe von Schleppern.

Das milliardenschwere Prestigeprojekt Russlands ist äußerst umstritten. Das AKW auf See sieht trotz der Reaktoren im Inneren aus wie ein ganz normales Schiff. Die Bauweise erinnert an die riesigen Atomeisbrecher, die im Norden Russlands seit Jahrzehnten mit Nuklearantrieb unterwegs sind. Kritiker warnen vor einer möglichen Katastrophe im Polarmeer, und bezeichnen die Anlage als "schwimmendes Tschernobyl".

Strom für Hafenstadt Pewek

Ziel der "Akademik Lomonossow" ist die kleine und äußerst abgelegene Stadt Pewek in Ostsibirien, die Route führt entlang der Nordküste Russlands. Die riesige Plattform, auf der das Atomkraftwerk steht, hat keine eigenen Motoren. Sie wird deshalb von mehreren Schiffen geschleppt.

Als Reisezeit sind vier bis sechs Wochen veranschlagt. Diese hängt nicht nur vom Wetter ab, sondern auch von der Masse an Eis auf der Route. Allerdings ist die sogenannte Nordost-Passage, die den Atlantik und den Pazifik entlang der Nordküste Russlands verbindet, inzwischen einfacher zu befahren: Durch den Klimawandel ist auch dort viel Eis geschmolzen - Schiffe kommen einfacher durch.

Das schwimmende Atomkraftwerk wiegt 21.000 Tonnen, ist 144 Meter lang und 30 Meter breit. Es besteht aus zwei 35-Megawatt-Reaktoren, für deren Betrieb etwa 70 Arbeiter nötig sind. Die Idee hinter dem von Russland seit langem betriebenem Projekt ist, Strom auch in äußerst abgelegene Gebiete zu bringen. In Pewek soll die "Akademik Lomonossow" ans lokale Netz angeschlossen werden und vor allem auch die großen Ölplattformen in der Region versorgen.

Umweltschützer alarmiert

Umweltschützer warnen vor allem vor den möglichen Gefahren durch Stürme. "In jedem Atomkraftwerk kann es zu Unfällen kommen, aber die 'Akademik Lomonossow' ist zudem besonders anfällig für Stürme", sagte Raschid Alimow von Greenpeace Russland. "Jeder Zwischenfall hätte verheerende Auswirkungen auf die sensible Umwelt der Arktis. Nicht zu vergessen, dass es dort keine Infrastruktur für die mögliche Reinigung und Krisenbewältigung gibt."

"Schwimmende AKW bringen viele Vorteile mit sich", sagt Wladimir Iriminku, der als Ingenieur für Umweltschutz auf der "Akademik Lomonossow" arbeitet. "Abgelegene Regionen können profitieren, ohne größere Verpflichtungen einzugehen", sagt er, während im Hintergrund im Maschinenraum leise Motoren brummen. Zu den Kosten eines derartigen Kernkraftwerks auf See gibt es keine genauen Angaben. Auf der "Akademik Lomonossow" werden rund 70 Megawatt produziert, die dann ins lokale Stromnetz eingespeist werden. Eine Stadt mit etwa 100.000 Einwohnern könnte damit versorgt werden.

Auf Permafrostboden gebaut

Das bisherige Kraftwerk der Region - Bilibino - ist auf Permafrostboden gebaut, veraltet und anfälliger für Umwelteinflüsse. Durch den Klimawandel taut auch der bisher dauerhaft feste Untergrund auf. "Das schwimmende AKW ist viel sicherer als alles Bisherige: Es kann selbst dem stärksten Tsunami standhalten und ist unsinkbar", versichert der Vizechef des AKW, Dmitri Alexejenko. Selbst auf potenzielle Terrorangriffe sei man vorbereitet. Auf See, Land und Luft werde das Militär die Anlage bewachen und schützen.

Russland hat derzeit mehr als 30 Atomkraftwerke in Betrieb. Moskau investiert zudem über seinen Energiekonzern Rosatom im großen Stil in neue Atomkraftwerke - besonders in ehemaligen Sowjetrepubliken, die selbst weder über Know-how noch über ausreichend Mittel verfügen. Auch in Indien, Bangladesch und in der Türkei plant Rosatom, für den weltweit rund 250.000 Menschen arbeiten, Atomkraftwerke. Immens umstritten ist das Engagement etwa in Weißrussland.

Die geplante Anlage in Ostrowez an der Grenze zum EU-Staat Litauen sorgt für viel Unmut in der Region. Es wird das erste nukleare Kraftwerk in der autoritär regierten Ex-Sowjetrepublik, die 1986 neben der Ukraine extrem von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl getroffen wurde. Der Schock darüber sitzt noch immer tief, die gesundheitlichen Folgen sind auch Jahrzehnte später zu spüren.

Ganze Flotte?

"Russland plant noch mehr, wir bauen aus", sagt ein Ingenieur auf dem schwimmenden AKW im weitentfernten Murmansk. Sollte das Projekt erfolgreich sein, könnte eine ganze Flotte an schwimmenden Atomkraftwerken gebaut werden. Es gebe bereits großes Interesse aus Südostasien, heißt es. Russische Umweltschützer glauben daher, dass die "Akademik Lomonossow" eine Art Muster-AKW für potenzielle Käufer sei und weniger die Stromversorgung für Bewohner von Pewek im Sinn habe.

Rosatom könne bei einem potenziellen Vorfall kaum rasch handeln, sagt Raschid Alimow von der Umweltorganisation Greenpeace. "Allen muss klar sein, dass die Infrastruktur in dem abgelegenen Gebiet im Notfall fehlt", sagt der Energieexperte. "Wenn etwas schief geht, kann man nicht schnell mal hinfliegen. Die Folgen für die Region in der empfindlichen Arktis werden dramatisch sein." Die Regierung solle die Milliarden eher in alternative Energien investieren, als mit Atomenergie zu experimentieren. Rosatom hält dagegen: Es sei eines der modernsten Atomkraftwerke, von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) als sicher eingestuft. "Es gibt also keinen Grund, sich Sorgen zu machen", beschwichtigt Ingenieur Iriminku.