Wegen des Beschusses der syrischen Provinz Idlib durch die Regierungstruppen sind laut Aktivisten hunderte Zivilisten nach Norden geflohen. Etwa 180 Familien und damit rund tausend Zivilisten seien seit Mittwochabend auf dem Weg in die türkisch besetzte Region Afrin und Gebiete im Westen der Provinz Aleppo geflüchtet, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Donnerstag.

Artillerie-Beschuss

Die syrischen Regierungstruppen beschossen auch am Donnerstagmorgen Gebiete im Südosten Idlibs mit Artillerie. Am Dienstag war die russische Luftwaffe erstmals seit drei Wochen wieder Angriffe geflogen. In der von Jihadisten und vorwiegend islamistischen Rebellen kontrollierten Provinz leben nach UN-Angaben etwa 2,9 Millionen Menschen, darunter 1,4 Millionen Vertriebene aus anderen Landesteilen.

Die Türkei befürchtet im Fall einer Offensive eine neue Flüchtlingswelle. Außenminister Mevlüt Cavusoglu warnte am Mittwoch bei einem Besuch seines deutschen Kollegen Heiko Maas in Ankara, "auch andere europäische Länder könnten das Ziel dieser Zuwanderung sein". Maas versicherte, Deutschland sei bereit, sollte es in Idlib "Kämpfe auf breiter Front" geben, sein humanitäres Engagement noch einmal zu verstärken.

Trump warnt Assad vor "Gemetzel"

Vor dem erwarteten Angriff syrischer Truppen auf die Rebellenhochburg Idlib hat US-Präsident Donald Trump den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad vor einem "Gemetzel" gewarnt. "Die Welt schaut zu, und die Vereinigten Staaten schauen sehr genau zu", sagte Trump am Mittwoch am Rande eines Treffens mit dem Emir von Kuwait, Scheich Sabah, im Weißen Haus.

"Wenn es ein Gemetzel ist, wird die Welt sehr, sehr wütend werden und die Vereinigten Staaten werden ebenfalls sehr wütend werden." In der Provinz Idlib hielten sich mindestens drei Millionen "unschuldige Menschen" auf.

Katastrophe aufhaltbar?

Die deutsche Regierung hofft unterdessen auf das Veto Moskaus, um einen Angriff zu verhindern. "Wir erwarten von Russland, das syrische Regime von einer Katastrophe abzuhalten", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin. Auch Außenminister Heiko Maas sagte, dass Idlib bei seinem Antrittsbesuch in der Türkei ein "ganz wichtiges Thema" sein werde. Ankara versucht, die Offensive zu stoppen, unter anderem wegen möglicher Flüchtlingsströme in Richtung Türkei.

Die syrische Armee hat Truppen zusammengezogen und bereitet einen Angriff auf die Provinz im Nordwesten des Landes vor, in dem sich neben Zehntausenden Bewaffneten, darunter vielen Extremisten, auch etwa drei Millionen Zivilisten befinden. Idlib ist das letzte große Gebiet des Bürgerkriegslandes, das noch von Rebellen beherrscht wird. Dominiert werden diese von dem Al-Kaida-Ableger Hayat Tahrir al-Sham (HTS), der früheren Al-Nusra-Front.

Das Schicksal der Rebellenhochburg wird sich laut Moskau nach dem Treffen der Präsidenten Russlands, des Irans und der Türkei am Freitag in Teheran entscheiden. Dann werde Klarheit über die militärische Lage herrschen, sagte der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow der Agentur Interfax zufolge. Russland und der Iran sind Verbündete Assads, die Türkei stützt die Rebellen.

Kremlsprecher Dmitri Peskow nannte die Situation in Idlib besorgniserregend. Russland berate mit allen seinen internationalen Kontakten über die Lage. Russische Kampfjets hatten am Dienstag eine Reihe von Luftangriffen auf die Region geflogen. Mit heftigen Bombardements aus der Luft wurden in der Vergangenheit Bodenoffensiven auf syrische Rebellenhochburgen vorbereitet.

Rechtfertigungen für Angriff

Rjabkow rechtfertigte einen möglichen Angriff: Anders werde sich Syrien nicht normalisieren. "Unsere westlichen Kollegen verstehen, dass man die Region von Terrorgruppen und Banditen befreien muss", sagte er. Ähnlich äußerte sich auch der Iran.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte unterdessen vor einer Eskalation der Gewalt. Was in Idlib vor sich gehe, sei "unbarmherzig", sagte er türkischen Medienberichten zufolge. "Gott bewahre, wenn diese Gebiete mit Raketen beschossen werden, dann gibt es da ein sehr schlimmes Massaker." Ankara bereitet sich bereits seit Tagen auf einen möglichen Flüchtlingsansturm vor.

Bereits am Dienstag hatte das Weiße Haus eine scharfe Warnung an Assad gerichtet. Falls die syrischen Truppen erneut Chemiewaffen einsetzen sollten, würden die USA und ihre Verbündeten darauf schnell und "in angemessener Weise" reagieren, hieß es in einer Mitteilung.

Die Tötung des syrischen Machthabers hat Trump eigenen Aussagen zufolge jedoch nicht erwägt. Entsprechende Darstellungen in einem neuen Buch des Enthüllungs-Reporter Bob Woodward wies er am Mittwoch vor Journalisten zurück.

In "Fear: Trump in the White House" ("Angst: Trump im Weißen Haus") berichtet Woodward laut bereits veröffentlichter Auszüge, Trump habe Verteidigungsminister James Mattis nach einem Chemiewaffenangriff in Syrien im April 2017 angerufen und gesagt: "Lass ihn (Assad, Anm.) uns verdammt noch einmal töten." Trump qualifizierte das Buch von Woodward insgesamt als "Fiktion" ab.