Eine von Millionen Chinesen geschaute Dokumentation über Smog ist in China gesperrt worden. Innerhalb von rund einer Woche war der Film "Unter der Glocke" mehr als 150 Millionen Mal im Internet abgerufen worden. Er hatte eine landesweite Debatte über die Ursachen für den gefährlichen Feinstaub in der Luft angestoßen.

Löschung von Partei angeordnet

Am Samstag war die 104 Minuten lange Sendung der ehemaligen Investigativ-Reporterin von Chinas Staatsfernsehen CCTV, Chai Jing, von den größten Videoportalen im Internet verschwunden. Die "New York Times" berichtete, die Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei habe die Löschung angeordnet.

In der 103 Minuten langen Doku gibt es unter anderem Interviews mit Behördenvertretern aus der britischen Hauptstadt London und dem kalifornischen Los Angeles, die von ihrem Kampf gegen die Luftverschmutzung berichten. Die Einwohner chinesischer Großstädte leiden seit Jahren unter starkem Smog, insbesondere im Winter ist die Luftqualität oft dramatisch schlecht.

Sie habe den Film als Teil ihres "persönlichen Kampfs" gegen die Luftverschmutzung produziert, weil ihre Tochter mit einem bösartigen Tumor auf die Welt gekommen sei, sagte Chai. Die größten Luftverschmutzer in China sind Kohlekraftwerke, Industrieanlagen und der mit dem wachsenden Wohlstand rasant zunehmende Autoverkehr. Pensionierte Behördenvertreter räumten ein, dass dadurch möglicherweise pro Jahr eine halbe Million Menschen sterben.

Kein Wort über Film verloren

Nach Ansicht des neuen chinesischen Umweltministers bedroht der Unmut vieler Chinesen über die Luft- und Wasserverschmutzung den sozialen Frieden. Wenn die Verärgerung nicht ernst genommen wird, könnten daraus gesellschaftliche und politische Probleme erwachsen, sagte Chen Jining am Samstag während der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses. Chen verlor in der Pressekonferenz kein Wort zu "Unter der Glocke", obwohl er den Film noch eine Woche zuvor gelobt hatte.

China dürfe beim Umweltschutz nicht nachlassen. Eine rasche Besserung der Lage sei aber nicht zu erwarten. Der Minister forderte strengere Gesetze und kündigte engere internationale Zusammenarbeit an. Zugleich räumte er Probleme in der Umsetzung eines neuen, strengeren Umweltschutzgesetzes ein. "Wir müssen alles unternehmen, damit das Gesetz kein zahnloser Papiertiger ist", sagte Chen Jining. Obwohl es seit Jänner in Kraft sei, hapere es in einigen Regionen noch mit der Umsetzung.

Die Umweltorganisation Greenpeace begrüßte die Ankündigung, mahnte jedoch, dass es mit großen Worten alleine nicht getan sei. "Wir müssen genau darauf achten, ob auch Politiker auf der Gemeinde- und Kreisebene zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie bei Umweltverstößen wegschauen", sagte der für China zuständige Greenpeace-Direktor Ma Tianjie.

Industriefreundliche Politik

Nach dreijähriger Beratung war vergangenes Jahr erstmals seit 1989 das Umweltschutzgesetz verschärft worden. Statt einmaliger Strafen dürfen Behörden künftig Unternehmen für jeden Tag Zahlungen aufbrummen, den sie gegen die Umweltvorgaben verstoßen. Bisher liegen noch keine Zahlen über Strafen für konkrete Umweltsünder vor.

Das rasante Wirtschaftswachstum hat der Umwelt in China schwere Schäden zugefügt. Über Ballungsgebieten herrscht oft Smog, auch Flüsse und Böden sind stark belastet. Die Regierung verspricht, verschärft dagegen vorzugehen. Doch die Umsetzung scheitert oft an einer industriefreundlichen Politik, um die Konjunktur nicht zu gefährden. Allerdings senkte die Regierung das Ziel für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auf für chinesische Verhältnisse bescheidene sieben Prozent.