Die Entscheidung, „Liebes Kind“ zu verfilmen, fiel noch bevor der spätere Bestseller von Romy Hausmann überhaupt veröffentlicht wurde. Was hat sie so schnell vom Stoff überzeugt?
ISABEL KLEEFELD:
Die damalige dtv-Verlegerin hatte mir das Manuskript geschickt, ich habe es in einer Nacht durchgelesen, das Buch ist ein absoluter Pageturner. Die multiperspektivische,  inwendige Erzählform hat mich sofort begeistert und ich habe dann mit Tom Spieß, dem Produzenten bei Constantin, über eine mögliche Verfilmung gesprochen. Dadurch konnten wir neun Monate vor der Veröffentlichung des Romans schon über die Filmrechte verhandeln. Ich war mir sicher, dass es ein Bestseller wird.

In Ihrer Filmbiografie finden sich zahlreiche Produktionen mit jungen Darstellern: von „Arnies Welt“ bis „Aufbruch in die Freiheit“. Was interessiert Sie am Set an der Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen?
Ich drehe sehr gerne mit jungen Darstellerinnen und Darstellern, weil mich die Sichtweise von Kindern und Jugendlichen auf die Welt sehr interessiert.

Was ist es, was Kinder auf das Set mitbringen?
Phantasie und Spielfreude. Sie gehen mit einer Unverstelltheit und Unvoreingenommenheit in die Situation, die wir als Erwachsene oft gar nicht mehr so herstellen können, auch in unserer Sehnsucht nach ständiger Kontrolle. Zudem gibt es bei Kindern oft eine eigene, besondere Logik, die zusätzliche Erzähloptionen liefert.

„Liebes Kind“ basiert auf einem harten Psychothriller mit verschiedenen Formen von Gewalt. Wie lässt sich das mit Kinderdarstellern verwirklichen?
Wir haben mit der Kindercoachin und der medienpädagogischen Fachkraft ein Konzept entwickelt, wie wir uns bei einem Psychothriller, der ja überhaupt kein Sujet für Kinder ist, der Arbeit mit den Kindern annähern. So kam die Idee zustande, ein zusätzliches Kinderdrehbuch zu schreiben, in dem alle Kinder-Szenen vorkommen, aber kindgerecht aufbereitet und mit einer eigenen, inneren Logik.


Kinder haben womöglich nicht immer Lust, vor der Kamera eine Rolle zu spielen. Würden lieber weiter herumtollen und spielen. Wie gehen Sie damit um?
Da darf man nicht auf die Uhr gucken, auch wenn die Zeit läuft. Da müssen alle die Geduld aufbringen, dass etwas zu Ende gespielt werden muss, bevor es wieder losgeht vor der Kamera. Es kann natürlich auch sein, dass zum Beispiel vormittags irgendwas in der Schule war und das Kind deswegen frustriert ist. Darauf haben wir keinen Einfluss und müssen herausfinden, warum das Kind traurig ist. Nicht nur deswegen castet man Kinder mehrfach, um sie an unterschiedlichen Tagen in unterschiedlichen Stimmungen zu erleben. Dann bekommt man eine Ahnung, wo Stärken und Schwächen der Kinder sind. Bei uns war von Vorteil, dass beide Kinder schon einmal gedreht hatten. Sie wussten, was Dreharbeiten bedeuten. Tatsächlich haben sie bei „Liebes Kind“ nicht ein einziges Mal in irgendeiner Art und Weise keine Lust gehabt. Die hatten zum Glück einfach immer Bock zu spielen.

Regisseurin Isabel Kleefeld beim Dreh
Regisseurin Isabel Kleefeld beim Dreh © Courtesy of Netflix

Wie viele Drehtage waren es?
Insgesamt 76 Drehtage. Ich habe den ersten Block gedreht, Julian Pörksen den zweiten.

In Österreich waren im Vorjahr Ulrich Seidls Dreharbeiten in Rumänien für den Film „Sparta“ großes Thema. „Spiegel“-Recherchen brachten Vorwürfe ans Licht, von Vernachlässigung und fehlendem Kinderschutz war die Rede. Mit welchen Gedanken beobachteten sie die Berichterstattung?
Es gibt klare Vorschriften, wenn man mit Kindern dreht. Diese Gesetze müssen eingehalten werden. Um sie einzuhalten, muss man gut vorbereiten, man muss gut casten, um die Kinder zu finden, die leisten können, was man für den Film möchte und dann muss man spielerisch proben. Ich war nicht bei Sparta dabei und weiß nicht, was dort beim Dreh passiert ist. Wir hatten die vorteilhafte Situation, in Deutschland zu drehen, wo es genaue Vorgaben gibt. Ich denke es wäre gut, wenn sich Filmproduktionen, die im Ausland drehen, an die Regeln halten, die auch im Heimatland gelten.

Im Fall von Ulrich Seidl gab es auch Vorwürfe der Eltern, die offenbar nicht einverstanden mit dem waren, was am Set passierte. Wie sehr sind Eltern in Ihren Produktionen eingebunden?
Wir lernen die Kinder ja mit ihren Eltern kennen, auch damit wir uns ein Bild vom Umfeld machen können. Natürlich fragen wir dann auch die Eltern, ob es bestimmte Eigenschaften, Vorlieben oder Ängste der Kinder gibt, die wir berücksichtigen sollten. Bei „Liebes Kind“ war es so, dass immer ein Elternteil am Set war, zusätzlich zur Kindercoachin und der medienpädagogischen Fachkraft. Gerade bei so einer Serie ist es wichtig, die Eltern einzubinden, damit sie wissen, was das Kind am Drehtag erlebt hat. Die Eltern haben im Vorfeld natürlich die richtigen Drehbücher bekommen und das Kinderdrehbuch wurde mit ihnen genauso wie mit dem Jugendamt gegengecheckt.