Noch hat sie sich nicht offiziell erklärt. Nur so viel sagt Sahra Wagenknecht. „Die politische Notwendigkeit für eine neue Partei gibt es.“ Jetzt schafft Wagenknecht Fakten und gründet für das Notwendige einen Verein. Auch einen Namen gibt es schon: BSW – das Bündnis Sahra Wagenknecht: Für Vernunft und Gerechtigkeit. Kommende Woche soll in Berlin das Programm vorgelegt werden. Wagenknecht macht sich politisch selbstständig.

Ein wendungsreicher Lebensweg

Vernunft, Gerechtigkeit, Wagenknecht – welch ein Dreiklang. Und so steckt schon im Parteinamen viel Anspruch. Zum einen geht’s um Wagenknecht, DDR-Bürgerin mit Vater aus dem Iran, Ex-Frau eines Börsenmaklers, Jetzt-Frau Oskar Lafontaines, Vorkämpferin der orthodox-marxistischen Plattform in der Nachwendepartei PDS, später Frontfrau der deutschen Linken, dabei immer medienaffin als selbsterklärte Wiedergängerin Rosa Luxemburgs. Und jetzt auch Parteigründerin. Ein wendungsreicher Lebensweg.

„Die Ampel ist die mit Abstand schlechteste Regierung, die die Bundesrepublik jemals hatte“, sagt Wagenknecht. Schon seit Monaten. Früher klang das anders. Da berief sie sich vornehmlich auf Karl Marx. „Es gibt marxistische Erklärungen dafür, warum der Kapitalismus noch immer existiert“, gratulierte Wagenknecht noch vor fünf Jahren Marx zum 200. Geburtstag. Als Erklärung schob sie hinterher: „Die verschärfte Ausbeutung der Arbeitskräfte, das Herunterdrücken des Arbeitslohns unter seinen Wert, die Verbilligung von Elementen des konstanten Kapitals, die relative Überbevölkerung, der auswärtige Handel und die Zunahme des Aktienkapitals.“ Puh, ganz schön viel theoretischer Überbau.

Aiwanger von links

In der Praxis bedeutet das für Wagenknecht: Zuwanderer erhöhen auf dem Arbeitsmarkt das Angebot, das drückt den Arbeitslohn. Auch deshalb stemmt sich Wagenknecht gegen Zuwanderung. Der Markt lässt sich nicht nur liberal interpretieren, sondern auch stramm linksnational.

Seit kurzem redet die 54-Jährige aber viel lieber ganz konkret über zu wenig Kita-Plätze, Flüchtlingsunterkünfte in Schulturnhallen und überlastete Kommunen. Wagenknecht (Abschlussarbeit in Philosophie zum Thema „Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx“) macht jetzt auf bodenständig und volksnah. Fast wie ein Hubert Aiwanger von links.

Fixpunkte im neuen links-simplen Weltbild sind Gerechtigkeit und Vernunft. Und so lautet Wagenknechts kaum variierter Schlüsselsatz seit Wochen: „Deutschland braucht eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft, der sozialen Gerechtigkeit, eine friedliche Außenpolitik und Respekt vor der Meinungsvielfalt statt Cancel Culture.“

Vom Nein zum Genderstern bis zum Corona-Schwurbeln

Ein Satz zum Klingen lassen. Weil er so vieles Unausgesprochenes transportiert. Wirtschaftliche Vernunft heißt staatliche Ausgabenprogramme,, soziale Gerechtigkeit bedeutet auch Leistungskürzungen für Zugewanderte, friedliche Außenpolitik meint keine Waffen für die Ukraine und die neue Meinungsvielfalt reicht vom Nein zum Genderstern bis zum Corona-Schwurbeln. Das war’s, nicht nur mit Karl Marx und dem wissenschaftlichen Sozialismus, sondern auch mit der Empirie.

Sahra Wagenknecht bietet eine linkspopulistische Projektionsfläche. Nicht ohne Erfolgsaussichten im neuen Deutschland. „Triggerpunkte“ heißt das neue Buch des Soziologen Steffen Mau von der Humboldt-Universität Berlin. Es geht darin um Wut und enttäuschte Erwartungen, etwa in Gleichheitsfragen und Zukunftsentwürfen. Triggerpunkte zielen „auf jene neuralgischen Stellen an denen Meinungsverschiedenheiten in Gegnerschaft umschlagen“, notiert Mau. Aus der Empörung resultiert der Aufstand an der Wahlurne. Wo Aiwanger das Gefälle zwischen Stadt und Land bedient, kümmert sich Wagenknecht um den Gegensatz zwischen oben und unten. Bei so viel Bodennähe zeigt die linke Analyse auch sehr viel Anschlussfähigkeit nach weit Rechtsaußen.

Gedankenspiele, die Wagenknecht wenig kümmern. „Die AfD ist nicht der Referenzpunkt, um der sich mein Denken dreht“, sagt Wagenknecht kühl. Ein Blick nach Bayern zeigt aber die Folgen des politischen Spiels. Dort saugen nun Aiwanger und die AfD gemeinsam an den Kräften der politischen Mitte. Wagenknecht gibt die Selbstgerechte und bietet einfache Lösungen. Ihre Partei stärkt nicht nur das Eruptive in Deutschlands Parteienlandschaft. Sie schwächt auch die konstruktiven Kräfte der Mitte. Stabiler wird es damit nicht in Deutschland.