Der Fallanalytiker ("Profiler") des Bundeskriminalamtes, Werner Schlojer, geht von einer "tiefen Kränkung" als Auslöser der Bluttat von Stiwoll aus: "Der mutmaßliche Täter fühlt sich als Opfer."
Den tödlichen Schüssen auf zwei Nachbarn war ein jahrelanger Streit um einen Weg über sein Grundstück vorausgegangen. Schlojer und sein Team gehen nicht von einer "tiefer Tatplanung aus".

Die Fallanalyse

"Der Kernpunkt der Arbeit des Fallanalytikers ist die Tatrekonstruktion, das heißt, das Täterverhalten am Tatort, davon geht alles aus", erklärte der gebürtige Steirer Schlojer (50), Angehöriger des Bundeskriminalamtes (BK), am Freitag in Graz. Es werde genau seziert, welche Handlungen am Ort des Geschehens und auch, was nicht gemacht wurde. Weiters werde das Verhalten nach dem Verbrechen analysiert.

Man erarbeite Fallcharakteristika, was genau spezifisch am Fall sei, führe eine Motivbewertung durch: "Was in diesem Zusammenhang augenscheinlich ist, was im Vordergrund steht, ist vielleicht etwas Anderes als das, was dahinter steckt. Uns geht es darum, ein vertieftes Fallverständnis herbeizuführen - worum geht es in diesem Fall? Wir suchen nicht die Nadel im Heuhaufen, sondern den Heuhaufen."

Opfer gezielt gewählt

Der Entschluss des Todesschützen sei "situativ" am Tattag entstanden. Den Zeitpunkt hätten zwar sozusagen die Opfer vorgegeben, weil die Aussprache von Samstag auf Sonntag verschoben worden war, aber er hat alles andere ausgewählt. "Die Langwaffe war da, die Opferauswahl gezielt, und er hat den Ausführungsort gewählt, in seinem Lebensmittelpunkt, seinem Zuhause", nicht vor einem Gericht, wo er auch Auseinandersetzungen geführt hatte.

In der Beurteilung gingen Schlojer und sein Team davon aus, dass mit der Tötung und Verletzung dreier Nachbarn die Tathandlung beendet war.

"Dann hat er die Flucht aufgenommen, da sind wir im Bereich der Nach-Tat-Phase", sagte der Analytiker. Die Flucht erfolgte mit eigenem Auto, neun Kilometer weit: "Auf einer Routinestrecke, wo er sich auskennt. Er musste aber damit rechnen, dass sein Fahrzeug bekannt ist, daher der Entschluss, es an einer ihm bekannten Örtlichkeit, einem Waldweg, abzustellen."

Keine Vorbereitungen

Danach habe F. aber einen Entschluss gefasst, der für ihn ein Problem darstelle. Die weitere Flucht erfolgte zu Fuß, der Bewegungskreis war eingeschränkt und man nehme an, dass er keine Vorbereitungen getroffen habe, mit entsprechender Kleidung, Nahrung und ohne Kommunikationsmittel.

Und weiter: "Er hat sich in eine schwierigere Lage begeben, aber er hat einen Vorteil: Er wählte ein Gebiet für die Flucht, wo er sich auskennt und sicher fühlt. Er ist ein Einzelgänger, im Wald fühlt er sich wohl, da geht er auch seiner Passion, dem Filmemachen, nach."

Paranoia

Aus seiner Persönlichkeit sei eine narzisstische Akzentuierung und eine Paranoia herauszulesen: "Er ist eine Person, die sich nach außen als mächtig darstellt, aber dahinter ist er unsicher." Er habe sich mit seinem Problemumfeldern (etwa Behörden und Gerichte, Anm.) verbal, schriftlich oder aktionistisch auseinandergesetzt. Das stellte offenbar eine Emotionsregulierung dar", urteilte der BK-Mann.

"Der mutmaßliche Täter handelt strukturiert, auch im Alltag, pflegt als durchschnittlich intelligenter Einzelgänger keine tiefen Freundschaften und hat ganz wenige emotionale Bezugspersonen." Fluchthelfer schließe er, Schlojer, aus. Und der Todesschütze ziehe sich eher zurück, aber man könne auch nicht ausschließen, dass "er sozusagen die letzte Kugel für sich aufhebe", sagte der Analytiker auf Befragen.

Ganz allgemein sagte Schlojer, dass das menschliche Verhalten nicht vorhersehbar sei. "Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten, was ist aus dem bisherigen Verhalten ablesbar? Es wäre aber gefährlich, bei einem auf der Flucht befindlichen, bewaffneten Täter zu sagen, es gibt keine Gefahr." Im Moment sei keine konkrete Gefährdung für seine Problemfelder erkennbar, auch nicht für die Allgemeinheit: "Wenn er letzteres wollte, hätte er das schon längst tun können."

Stellt sich der Täter?

Auf Journalistenfragen meinte der Analytiker, er gehe nicht davon aus, dass der Flüchtige eine Person ist, die Suizid verübt. "Ich würde nicht ausschließen, dass er sich stellt, und sich sozusagen erklärt. Die Frage ist, wem er diese Erklärung geben will."

Schlojer glaubt auch nicht, dass der Mann bereits tot sei. Polizeisprecher Jürgen Haas sagte dazu auch, dass die Gegend mehrfach abgesucht worden sei: "Und unsere Spürhunde sind verdammt gut ausgebildet."

Wie es in Stiwoll weitergeht

Mittlerweile kehrt in Stiwoll kehrt langsam wieder Normalität ein. Von der zuletzt massiven Polizeipräsenz ist nichts mehr zu sehen, dennoch sind Beamte in Uniform wie auch in zivil weiterhin im Dorf. Man gehe nun wie angekündigt zu einem kriminaltaktischem Verfahren über, hieß es von einem Sprecher der "Soko Friedrich".

Die Einsatzleitung bleibe vorerst noch im Gemeindeamt von Stiwoll, dessen Bürgern Pfennich ein Lob aussprach: "Wir wurden sehr freundlich aufgenommen, ein Lob an Bürgermeister Alfred Prettenthaler, wir haben sein Gemeindeamt in Beschlag genommen und er hat uns dennoch jeden Wunsch von den Lippen abgelesen." Und alle von der Feuerwehr bis zum Fußballverein hätten die Exekutive unterstützt, das habe enorm viel Zeit beim Aufbau der Infrastruktur gespart.

Einbruch noch nicht geklärt

Die Einsatzkräfte gehen nach wie vor davon aus, dass der Mann noch am Leben ist. Ein Einbruch Samstagabend in den Nebenraum eines Wirtschaftsgebäudes könnte ein Hinweis darauf sein. Noch steht aber nicht fest, ob tatsächlich der Flüchtige den Einbruch verübt und dabei aus einer Kühltruhe Lebensmittel gestohlen hat. Die Spurenauswertungen seien noch im Gange, heißt es.