Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hat seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel aufgerufen, den "Flüchtlingswettlauf" mit der Festlegung von Aufnahmeobergrenzen zu stoppen. Die Verteilung von Flüchtlingen in der EU funktioniere nicht, weil sie hoffen, nach Deutschland zu kommen, sagte Faymann den Tageszeitungen "Österreich" und "Kronen Zeitung".

"Logik der ungeordneten Migration"

"Erst wenn Deutschland einen Richtwert nennt und Flüchtlinge nur noch direkt aus den Krisenregionen holt, durchbricht man die Logik der ungeordneten Migration", sagte Faymann im "Österreich"-Interview. Merkel müsse "das Modell durchbrechen, dass in einem Wettlauf jener der Sieger ist, der Deutschland erreicht", fügte er gegenüber der "Krone" hinzu. Derzeit würden andere EU-Staaten mit Aufnahmekontingenten nämlich nur auf "mageres Interesse" bei den Flüchtlingen stoßen.

Gegenüber "Österreich" präzisierte Faymann, dass Frankreich die Aufnahme von 30.000 Asylsuchende angeboten habe, aber nicht einmal 1000 bekommen habe, "weil alle nach Deutschland und Österreich wollen. Dasselbe erlebt Portugal - die Portugiesen würden derzeit 7000 Flüchtlinge, die in Idomeni verzweifelt warten, aufnehmen - aber es sind nur 200 bereit, nach Portugal zu gehen, weil alle hoffen, irgendwann doch einen Weg nach Deutschland zu finden."

Konkret sprach sich Faymann dafür aus, dass Deutschland analog zu Österreich einen "klaren Richtwert" von 400.000 Flüchtlingen pro Jahr festlegt. Die EU und Deutschland müssten nämlich wie Österreich "klar sagen": "Wer mit Schleppern an die EU-Außengrenze kommt, wird zurückgeschickt. Und zwar alle."

Zu Gast bei Hollande in Paris

Werner Faymann war zudem am Samstag zu Gast in Paris, wo führende Sozialdemokraten aus der EU sich auf Einladung des französischen Staatspräsidenten Francois Hollande mit der künftigen Europapolitik sowie der Flüchtlingskrise auseinandergesetzt. "Eine gemeinsame europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage heißt nicht drauf zu warten, dass alle durchgewunken werden", betonte Faymann auch bei dieser Gelegenheit.

"Illegalität ist nicht der Weg zu einer Lösung in der Flüchtlingspolitik", so der Kanzler. In Paris anwesend waren u.a. die Ministerpräsidenten aus Italien und Portugal, Matteo Renzi und Antonio Costa, der deutsche SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel sowie der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und "als Beobachter" der linksgerichtete griechische Premier Alexis Tsipras.

Für Tsipras sei es "angenehmer" gewesen, "dass die Flüchtlinge nur durch Griechenland durchgereist sind. Aber es geht in dieser Frage nicht darum, was angenehm ist. Wir haben einen klaren Beschluss gefasst, dass es kein Durchwinken mehr gibt", strich Faymann in Sachen Abriegelung der bisherigen Balkan-Flüchtlingsroute in Richtung Athen hervor. 12.000 Migranten sind mittlerweile in Griechenland an der Grenze zu Mazedonien gestrandet, nachdem Österreich Tageskontingente für die Einreise von Flüchtlingen eingeführt und bei den Transitländern auf dem Balkan die Schließung der Grenzen betrieben hatte.

Flüchtlinge aus Krisenregionen

Zur Flüchtlingspolitik Berlins bemerkte der Kanzler: "Deutschland muss mehr Klarheit an den Tag legen, sonst werden Hunderttausende versuchen durchzukommen." Deutschland, das bevorzugte Zielland vieler Flüchtlinge und Migranten, sollte seiner Ansicht nach mithilfe des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) Flüchtlinge direkt aus den Krisenregionen holen.

Kritik übte Faymann an der bisherigen Umsetzung der im Vorjahr akkordierten Verteilung von 160.000 Flüchtlingen von Griechenland und Italien auf andere EU-Staaten: "Frankreich wollte 30.000 Flüchtlinge aufnehmen und hat 1000 bekommen. Das zeigt, dass die Verteilung nicht funktioniert." Schulz erklärte dazu im Sender I-Tele: Wenn sich nicht alle 28 EU-Mitglieder auf eine Verteilung von Flüchtlingen untereinander einigten, "muss man eine Lösung unter jenen finden, die sich beteiligen wollen".