Merkel räumte in der ZDF-Sendung "Was nun, ...?" Widerstände gegen ihren Kurs ein, gab sich aber kämpferisch. Für ihre Vorstellungen werde sie "mit aller Kraft einstehen". "Es geht darum, dass ich in der Tat kämpfe für den Weg, den ich mir vorstelle", sagte sie. Bei den Bürgern wolle sie für ihren Ansatz werben und gegen Ängste im Zusammenhang mit dem Zuzug von Flüchtlingen angehen: "Ich habe keinen Zweifel, dass wir das schaffen."

Forderungen auch aus der Union CDU/CSU nach einer Begrenzung des Flüchtlingszuzugs wies die Kanzlerin zurück. "Was wir in Deutschland nicht können, ist festzulegen, wer kommt noch und wer kommt nicht", sagte Merkel. "Obergrenzen kann ich nicht einseitig definieren." Ob sie sinkende Flüchtlingszahlen noch in diesem Jahr erwarte, könne sie nicht sagen. "Ich hoffe es", fügte sie hinzu.

Nun gehe es zunächst darum, den Zuzug "zu ordnen und zu steuern", sagte Merkel. "Die Flüchtlingszahlen reduzieren können wir erst, wenn wir an den Fluchtursachen ansetzen." Diese lägen aber außerhalb Deutschlands, etwa im Bürgerkriegsland Syrien. Die nächsten Schritte seien nun, die europäischen Außengrenzen zu sichern, innerhalb Europas zu einer fairen Lastenverteilung zu kommen und die Türkei in die Lösung zur Krise um die Flüchtlinge aus Syrien einzubinden.

Merkel ließ in dem Interview Distanz zum Vorgehen ihrer Minister Wolfgang Schäuble und Thomas de Maizière (beide CDU) erkennen. Finanzminister Schäuble hatte zuvor den Zuzug der Flüchtlinge mit einer "Lawine" verglichen und dafür viel Kritik geerntet. Merkel sagte im Hinblick auf Schäubles Wortwahl, es gebe "Punkte, da sehe ich die Dinge anders". Sie selbst denke "nicht in solchen Bildern". Für sie gehe es um die Würde jedes Einzelnen und nicht um eine anonyme Masse. Zugleich sagte sie aber über den dienstältesten Minister: "Schäuble ist eine Klasse für sich."

Merkel äußerte sich auch zu Innenminister de Maizière, dem zuletzt in der Flüchtlingspolitik eigenmächtiges Vorgehen ohne Abstimmung mit dem Kanzleramt vorgeworfen worden war. Natürlich übe der Innenminister seine Ressortzuständigkeit aus, sagte sie. Die Ressortzuständigkeit allerdings "bewegt sich immer innerhalb der Richtlinienkompetenz" der Kanzlerin, die sie für sich beanspruche, sagte Merkel. Dazu habe sie "interne Gespräche" geführt, über die sie nicht öffentlich berichten wolle.

Die Kanzlerin sprach in dem Interview auch über die Motive ihrer Flüchtlingspolitik. Sie sehe die Situation als "eine sehr erfüllende Aufgabe, die wir lösen können". Der Zuzug der Flüchtlinge werde für Deutschland "auch eine Bereicherung sein", fügte sie hinzu. Die Entscheidung, Flüchtlinge aus Ungarn in Deutschland aufzunehmen, habe sie "mit Verstand und ein bisschen Herz" gefällt. "Ich bin dafür, dass wir ein freundliches Gesicht von Deutschland zeigen. Das ist meine Art von Willkommenskultur."

Auf die Frage, ob sie beim CDU-Parteitag in Karlsruhe Anfang Dezember eine Art Vertrauensfrage zu ihrer Politik stellen werde, betonte die CDU-Vorsitzende: "Es geht nicht um eine Vertrauensfrage." Auch die Frage, ob sie bereit sei, für ihren Kurs ihr Amt infrage zu stellen, verneinte Merkel. "Ich stehe den Bürgern für diese Legislaturperiode zur Verfügung."

Die Mittelstandsvereinigung der Union (MIT) hatte zuvor verlangt, Flüchtlinge notfalls an der Grenze zurückzuweisen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) untermauerten ihre Forderungen nach Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen. Söder sagte dem "Münchner Merkur": "Deutschland kann im Jahr maximal 200.000 bis 300.000 Neubürger sinnvoll integrieren." Wenn es darüber hinaus gehe, werde auf Dauer Integration kaum gelingen. Die Regierung erwartet in diesem Jahr offiziell 800.000 Flüchtlinge. Haseloff sagte der "Bild"-Zeitung: "Auf jeden Fall müssen wir sehr bald erklären, was wir leisten können und wo unsere Grenzen sind, und dann natürlich Obergrenzen festlegen, auch für Gesamtdeutschland."

Innenminister de Maizière rief alle in der Union dazu auf, gemeinsam für die Sache zu streiten. Bei einem KPV-Kongress in Saarbrücken zeigte er sich besorgt über eine Radikalisierung und Verrohung der Sitten. Es gebe einen Umgang miteinander, "den ich mir vor einem halben Jahr oder Jahr nicht hätte vorstellen können".

De Maizière erhält wachsende Zustimmung für seine Politik. Nach dem jüngsten ZDF-"Politbarometer" finden inzwischen 45 Prozent der Befragten seine Arbeit eher gut (September: 34 Prozent). Merkels Arbeit in der Krise wird von einer Mehrheit (52 Prozent) weiterhin als eher schlecht bewertet; gute Noten bekommt sie von 43 Prozent.