Durchwachsen ist die Aufnahme, die der neue "Jedermann" in den heimischen und ausländischen Blättern bisher gefunden hat. "Seltsam leblos", "überernsthaft und ein wenig bieder" wird die Regie etwa gefunden. Von einer "Bravourleistung" ist da jedoch ebenso die Rede wie von einer "wunderbaren, weil äußerst bedenkenswerten Neuinszenierung". Im Folgenden kurze Auszüge aus ausgewählten Kritiken:

"Salzburger Nachrichten": "Weil dort und da das Altvaterische entfernt ist, gewinnt die Handlung Aktualitätsbezug. Der veränderte Text fügt sich zum Ansinnen dieser Neuinszenierung: Sie spielt in heutiger Zeit. (...) Michael Sturminger richtet seine Inszenierung konzis um den Kern des Stücks an: Wie sterben? Er sowie Renate Martin und Andreas Donhauser als Ausstatter für Bühne und Kostüme haben in der kurzen Zeit seit Anfang April erstaunlich viele kluge Ideen realisiert. Allein das ist eine Bravourleistung. (...) Stefanie Reinsperger kann von ihrer Fähigkeit zum expressiven, kräftig konturierten Spiel erstaunlich wenig zur Geltung bringen. (...) Tobias Moretti gelingt eine Glanzrolle. Zwar dürfte er kaum als betörendster Liebhaber und fulminantester Gastgeber in die "Jedermann"-Geschichte eingehen, doch brilliert er auf dem Weg zum eigentlichen Ziel dieses Theaterstücks. Wie mit dem Tod zurechtkommen?"

"Der Standard" sah eine "wunderbare, weil äußerst bedenkenswerte Neuinszenierung": "Sturminger hat seinem Jedermann kein Messdienerhemd übergestreift. Er hat versucht, unser aller Ratlosigkeit produktiv zu machen. Das ist ihm, auch dank der brütenden Gedankenschwere Morettis, eindrucksvoll gelungen."

"Kleine Zeitung": "In nur dreimonatiger Vorbereitungszeit hat der Regisseur Hofmannsthals gravitätisches Werk auf Zeitgenossenschaft getrimmt; hat der Handlung die allegorische Opulenz abgesaugt und der Sprache das Üppige abtrainiert. Geblieben ist ein gegenwartsoptimierter, ranker 'Jedermann', den man auch hager, ja eckig finden kann."

"Kurier": "Die Buhlschaft ist jetzt kein dekorativer Gegenstand mehr, der Jedermanns Leben behübscht - sondern offenbar seine Herzensgefährtin. Das ist eine kluge Idee: Die Fallhöhe wird größer, wenn die Buhlschaft angesichts des Todes bedauernd, aber ohne zu zögern die Flucht antritt. (...) Vieles in dieser Inszenierung ist interessant und klug gedacht. (...) Anderes wirkt nicht zu Ende gedacht" - "Vielleicht ist das das größte Manko dieser nervösen, unfertig und unrhythmisch wirkenden Aufführung: Sie ist humorlos, überernsthaft und ein wenig bieder. So bekommt Jedermann, als es ans Sterben geht, tatsächlich ein Spitalsbett hingestellt. (...) Der Versuch, das Geschehen intimer und heutiger zu machen, führt merkwürdigerweise nicht dazu, dass uns das Stück näherkommt - es wird nur kleiner."

"Neue Kronen Zeitung": "Morettis Jedermann zeigt nach einer langen Reihe prominenter Vorgänger einen neuen Typ vom Mann des Geldes. Er ist weniger lebensfroh als besonnen bei Geschäften, weniger draufgängerischer Erotomane als Liebender, der beim finalen Aufschlagen des "Rechenbuchs" der Taten zerbricht, bis die echte Träne fließt. (...) Sturmingers Gestalten von heute, eingepackt in bunte Anzüge und grelle Abendroben erzählen dennoch keine moderne Geschichte, wirken wie eine glitzernde Staffage für Hofmannsthals Text. Auch das beweist, dass es kaum möglich ist, ihn aus religiös-mystischem Kontext zu lösen, auch wenn sich Gottes Gesicht ändern sollte, Glaube entschwindet."

"Die Presse" findet die Neuinszenierung "äußerst durchwachsen. Viel vom Zauber und von der Wucht dieses Spiels ging verloren" - "Doch Sturminger macht das nicht schlüssig. Seine Fassung sprüht vor Ideen, aber am Ende fällt es furchtbar schwer, 'die Lehr auszuspüren'. (...) Die Rolle des Büßers schließlich liegt auch Moretti mehr als die des Lebemannes und des Siechen. (...) Bei Reinsperger fühlt man, sie könnte Moretti jederzeit in den Schatten stellen."

Oberösterreichische Nachrichten": "Moretti verneint die verzweifelte Raserei seiner Vorgänger. In kleinen Gesten sucht und findet er die Größe der Läuterung. Buhlschaft Stefanie Reinsperger ist körperlich größer als ihr Bühnenmann und künstlerisch ihm ebenbürtig. Nichts Verruchtes strengt sie an, ihre Liebe strotzt vor Zärtlichkeit. So weit, so klug und neu. (...) 'Jedermann' als Starvehikel. Vor allem natürlich für Tobias Moretti, der mit enormer Intensität, aber ohne deklamatorisches Pathos oder Kraftmeierei nicht nur vom Sterben, sondern vor allem von der Einsamkeit des reichen Mannes erzählt."

"Süddeutsche Zeitung": "Der neue Salzburger 'Jedermann' mit Tobias Moretti ist der kürzeste, grüblerischste und humorloseste aller Zeiten", heißt es, geortet werden "Unausgegorenheit und extreme Unsinnlichkeit" sowie "Geschmacksverirrungen". "Selbst die Buhlschaft bleibt als Jedermanns leidenschaftliche Geliebte eine reine Behauptung. Stefanie Reinsperger ist deshalb die größte Enttäuschung . (...) Im Zentrum, alle anderen zur Stafffage machend: Tobias Moretti bei dem intensiven Versuch, den Jedermann psychologisch, ja pathologisch zu spielen, ihm Kammerspiel-Tiefe zu geben. Was der Text natürlich nicht hergibt."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "So einen biederen, völlig weihelosen 'Jedermann' gab es schon lange nicht mehr", lautet das Urteil, und über Morettis Figur heißt es: "Ein Geldsüchtiger ist das nicht. Kein böser Kapitalist, eher ein kapital Harmloser. (...) Richtig in Fahrt kommt dieser Jedermann nie, es fehlen ihm die Antriebswinde. Auch die für sich genommen fabelhaft wuchtige neue Buhlschaft, die Stefanie Reinsperger mit großem Elan und spitzmädeligen Worten gibt, kann ihn nicht entzünden. Sie wirft ihn aufs Bett, umklammert ihn mit ihren schweren, nackten Beinen, aber dieser Jedermann lässt sich einfach nicht aus der Reserve locken. Als besonderes Herrschaftsrecht nimmt er sich vor allem das heraus, langweilig zu sein. (...) Michael Sturminger (...) hat eine seltsam leblose Inszenierung zustande gebracht. Um Ernsthaftigkeit bemüht, aber ohne Sinn für das feingliedrig Triviale und die verschiedenen Stimmungsnuancen des Stücks. Das Bühnenbild ist pseudogeschmackvoll, die Modernisierungsversuche durch zaghafte Videoeinspielungen und gewollt auffällige Kostüme recht naiv."

Die "Neue Zürcher Zeitung" fand das Gebotene "ziemlich bemerkenswert": "Aus diesem 'Jedermann' ist so ein beinahe leises, mutig säkulares Kammerspiel geworden, ohne visuelles Brimborium und ohne Masken-Mummenschanz nachdenkliche Auseinandersetzung mit dem Zeitlichen, den schmerzlichen Versäumnissen und den falschen Versprechungen des Lebens. Wenn dieser Jedermann 2017 stirbt, dann ist da kein Erlösungs- und Reue-Kitsch: Der Schritt ins Jenseits ist einer ins Nichts. (...) Moretti spielt fortan beeindruckend jede Phase des Untergangs."