In die Großstadt geflüchtete junge Frau kehrt zum Begräbnis der Großmutter in ihr Heimatdorf zurück und entdeckt Omas großes Lebensgeheimnis. Auch wenn der Plot von Marianne Jungmaiers Romandebüt "Das Tortenprotokoll" (Kremayr und Scheriau) nicht atemberaubend neu scheint, ist der 1985 geborenen Linzerin ein bezauberndes Panorama ländlicher Idylle wie beklemmender familiärer Abgründe gelungen.

Mit viel Liebe zum Detail und ausgeprägtem Sinn für sprachliche Feinheiten stattet Jungmaier ihre Ich-Erzählerin Friederike aus, die von ihrem Berliner Exil in die österreichische Pampa zurückkehrt, wo sie nicht nur auf ihre entfremdeten Eltern und ihre Schwester trifft, sondern auch auf ihre langjährige Jugendliebe Tobi, mit dem sie nach all den Jahren wieder in Freundschaft verbunden ist. Jeder geht mit dem Schmerz anders um: Während die Eltern sich auf bürokratische Wege und das rasche Ausmisten des Hauses konzentrieren, schwelgt Friederike in Erinnerungen und versucht die Bruchstelle in der Beziehung zu ihrer Großmutter zu ergründen.

Leichtfüßig verwebt die Autorin, die laut Verlags-Biografie "in Berlin und anderswo" lebt, Außenwelt mit Innenleben, etwa, wenn sie in wenigen Zeilen den Charakter von Friederikes Mutter beschreibt: "Das Spiel von Licht und Schatten wechselt stündlich in diesem Haus, es lebt nach einem eigenen Rhythmus. Als Kind beschlich mich der Verdacht, es passe sich Mutters Launen an, denn wie sich deren Frohsinn plötzlich in Argwohn verwandelte, veränderten sich auch die Grenzen in ihrem Haus."

Als die junge Frau auf das vergilbte "Tortenprotokoll" der Großmutter stößt, in dem diese ihre Rezepte fein säuberlich notiert hat, obwohl sie alle Süßspeisen (die in dieser Familie eine große Rolle spielen) aus dem Gedächtnis zaubern konnte, nimmt die Geschichte ihren Lauf. Aus den Seiten purzeln blumige Liebesbriefe mit unbekanntem Absender. Plötzlich ist sich Friederike nicht mehr so sicher, ihre Großmutter wirklich gut gekannt zu haben. Gemeinsam mit Tobi begibt sie sich auf die Spuren des geheimnisvollen Liebhabers. Der Trubel rundherum geht ihr zusehends auf die Nerven, etwa, wenn ihre Verwandten nach und nach dazustoßen und keine Spur Trauer zulassen: "Beide sprechen lieber von Torten als vom Tod, von Cremes und Füllungen als von der Leere, die er hinterlässt."

Am Ende ist das Geheimnis gelüftet, aber die junge Ich-Erzählerin hat nicht nur etwas über ihre Großmutter gelernt, sondern auch über Tobi, ihre Eltern und sich selbst. Aber ihre einstige Entscheidung, möglichst weit weg vom (groß)elterlichen Hof ihr Glück zu suchen, scheint sich als richtig erwiesen zu haben. Und so endet die Geschichte dort, wo sie begonnen hat: im Flugzeug.

Marianne Jungmaier: "Das Tortenprotokoll", Kremayr und Scheriau, 202 Seiten, 19,90 Euro