Es liegt wohl in der Natur des Menschen, sich manchmal selbst zu beschwindeln: Geht es um die Frage, was eine Autofahrt kostet, zieht man oft nur Spritrechnungen heran; unter „Baukosten“ wird vielfach nur der Errichtungspreis eines Gebäudes verstanden. Eine richtige Klimabilanz im Baubereich würde aber zusätzlich die Umweltkosten und Emissionen von der Planung bis zum Rückbau des Gebäudes sowie die Erhaltungs- und Betriebskosten während der Laufzeit einberechnen. Alexander Passer, Professor am Institut für Nachhaltiges Bauen: „Bis jetzt gab es keine rechtliche Verpflichtung, Klimabilanzen zu berechnen, also macht es so gut wie niemand.“
Dabei ist die Baubranche für fast 40 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Und gebaut wird auch weiterhin: Weltweit werden sich bis 2050 die Gebäudeflächen von heute 200 Milliarden m2 auf 400 Milliarden verdoppeln, nicht so in Österreich. Hier schätzt man, dass 90 Prozent des Gebäudebestandes im Jahr 2050 schon heute existiert. In Brüssel wird aktuell die große Strategie vorbereitet, mit der Europa klimafit gemacht werden soll, im „Green Deal“ spielt auch der Gebäudebestand eine wichtige Rolle. Bis 2050 soll jedes Haus weitgehend emissionsfrei sein, neu gebaute öffentliche Gebäude schon in vier Jahren. Mit der Taxonomieverordnung, die festlegt, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als nachhaltig gelten, will man auch die Finanzströme umleiten: Klimafreundliches Handeln soll belohnt werden, etwa durch günstigere Kredite. Ist der Plan der EU erst in nationale Gesetze gegossen, verändert sich die Art des Bauens in Österreich grundlegend, betont Passer.
Die wichtigste Voraussetzung dafür wäre eine aufrichtige Klimabilanz und das schon heute, ist man in der Kammer der Ziviltechniker:innen überzeugt. Damit könnten nicht nur Einsparmaßnahmen identifiziert werden, manche Bauentscheidungen würden überhaupt anders getroffen. Vielfach bräuchte es künftig Hybridbauweisen, um etwa die ökologischen Vorteile von Holz mit den technisch-wirtschaftlichen anderer Werkstoffe zu verbinden.
Im Sinne der Kreislauffähigkeit gehört zudem geprüft, ob Bauteile nach Nutzungsende demontierbar, trennbar und wiederverwertbar sind, betont der Ziviltechniker und ehemalige Vorstand des Instituts für Materialprüfung und Baustofftechnologie an der TU Graz, Peter Maydl. Er sieht eine ganzheitliche Sichtweise auf Bauprojekte als unabdingbar, um die künftigen Herausforderungen zu meistern, auch im Blick auf die bestehende Praxis: Gedeckelte Budgets bei Bauprojekten verhindern vielfach eine nachhaltigere und teurere Bauweise, die Art des Bauens sei zudem an Fördermaßnahmen gekoppelt und hier komme selten das ökologisch sinnvollere Baumaterial zum Einsatz, sondern das günstigere. Gerade umgekehrt wäre es der richtige Weg, betont Maydl, indem gutes Bauen mit ökologischen wie langlebigen, wartungsarmen und robusten Materialien erfolgt und nachhaltiges Bauen insgesamt finanziell belohnt wird.
Nachhaltiges Planen schließt die oft zitierte Kreislaufwirtschaft ein, die aktuell vielfach nicht möglich sei, sagt Peter Maydl: Bei vielen Gebäuden sind recyclingfähige Stoffe eher rar im Vergleich zu den schwer bis nicht trennbaren Verbundstoffen wie beispielsweise gewebeverstärkte Putze, die mit Dämmplatten verklebt sind. Im Vergleich zum Gründerzeithaus, das aus nur wenigen, langlebigen und gut wiederverwertbaren Materialien gebaut wurde, hatten die neuen Baustoffe ab den 1960er-Jahren vor allem günstig zu sein. Viele dieser Häuser stünden mit ihren Problemstoffen aktuell zum Abriss, sagt Architekt Gernot Kupfer, der als eigentliche „Bausünde“ aber die Tatsache sieht, „dass wir weiterbauen wie bisher, obwohl wir es besser wissen, statt umzudenken und der künftigen Generation die bekannten Probleme ersparen.“ Für den Architekten und Vorsitzenden des Ressorts Zukunft Lebensraum der ZT Kammer gehört die Qualität des zukünftigen Bauens neu diskutiert, etwa bei der Frage nach qualitätsvoller Nachverdichtung, aber auch bei der Nachnutzung von Gebäuden. „Wir bauen heute immer noch für monofunktionale Zwecke. Hat das Gebäude das Ende seiner Lebenszeit erreicht, kommt in der Regel die Abrissbirne.“
Bestehende Gebäudeflächen sind, so Kupfer, eine wertvolle Grundlage zur Nach- oder Neunutzung, zudem müssen dadurch keine neuen Flächen versiegelt werden. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit wird bei „ehrlichen“ Klimabilanzen künftig ein wichtiger Faktor werden, insbesondere wenn eine nachhaltige Planung mit günstigeren finanziellen Bedingungen verbunden ist, sagt der Bauingenieur Thomas Eichholzer. Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker sind zur unabhängigen Beratung verpflichtet sowie zur strikten Trennung zwischen Planung und Ausführung. „Was wir planen, dürfen wir nicht ausführen, wir sind frei von Lieferinteressen. Die Entscheidung, wie und mit welchem Baumaterial das Gebäude errichtet wird, liegt beim Bauherren; wir empfehlen, mit welcher Lösung das tatsächlich beste Ergebnis erzielt werden kann“, sagt Eichholzer.
Ziviltechniker verpflichten sich per Berufskodex und Eid dem Dienste der Gesellschaft. „Aus dieser Verantwortung heraus“, so Eichholzer, „muss man die gesellschaftliche Diskussion darüber einmahnen, wie wir als Gemeinschaft künftig leben und mit den natürlichen Ressourcen umgehen wollen.“ Diese sollte aber weniger von der Mitte der Interessensvertreter ausgehen, sondern aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Dazu braucht es Rahmenbedingungen seitens der Politik, um die Ziele besser und schneller erreichen zu können.