Im Flur der durchgestylten Einliegerwohnung hängen Kinderporträts, signiert und mit dem Entstehungsjahr 1958 versehen. Gestriegelt und geschnäuzt blicken Walfred und Wolfgang Haindl in den Raum. Im damaligen Volksschulalter hätten sie sich wohl in einer Science-Fiction-Welt gewähnt, hätte man ihnen ihr heutiges, technisiertes Umfeld gezeigt. Inzwischen sind die beiden im Ruhestand und ihre Mutter Johanna ist mit 85 Jahren zu Walfred und seiner Frau Maria nach Irdning in die Obersteiermark gezogen. Dort hat sie mit einer Selbstverständlichkeit den kühnen Sprung in die moderne Architektur gewagt, von der sich Jüngere eine Scheibe abschneiden könnten. „Es ist wunderbar, ich wohne hier absolut perfekt“, sagt sie, mit Enthusiasmus. Ihr neues Zuhause liegt in unverbaubarer Hanglage mit herrlichem Blick auf das Ennstal, dahinter erhebt sich der mächtige Grimming. Dann schweift der Blick nach rechts auf Pürgg, das malerische „Kripperl der Steiermark“, wie Peter Rosegger den 100-Seelen-Ort nannte. Das ist großes Landschaftskino.

„Eigentlich haben wir zunächst eine Wohnung in Irdning gesucht, es hat damals aber schlicht und einfach keine gegeben“, erzählt Schwiegertochter Maria. Allerdings: Neben dem Wohnhaus der Haindls war Platz für einen kleineren Neubau. Man wollte etwas Eigenständiges. Als Architekt wählte man Gerhard Kreiner, nicht nur, weil er vor Jahren ein Schüler von Maria Haindl, der späteren langjährigen Direktorin des Stainacher Gymnasiums, war. Kreiner entwarf eine „Einliegerwohnung“, eigentlich ein Einliegerhaus. „Die Herausforderung bestand darin, eine barrierefreie Wohneinheit zu errichten, mit einem zurückhaltend gestalteten Baukörper, der sich jedem Bewohner individuell anpasst und mit wenigen Einrichtungsgegenständen dessen Charakter und Stil widerspiegelt“, erklärt Architekt Kreiner die Wünsche der Bauherren.
Eine Biedermeier-Aufsatzkommode ist so ein Schmuckstück, mit dem Großmutter Johanna dem sonst schnörkellosen Raum ihren persönlichen stilistischen Stempel aufdrückt. „Schon vor 70 Jahren wollte ich eine Kommode. Jetzt bin ich in Wien fündig geworden und habe mir meinen Traum erfüllt“, strahlt sie. Sonst ist der Raum bewusst schmucklos gestaltet, sämtliche Einbaugeräte sind hell verblendet. Im großen Wohn- und Essbereich wird auch gekocht: mit Induktion, „auch der Sicherheit wegen“. Schlafzimmer, Vorraum, Bad und WC bilden getrennte Einheiten.

Ohne eine Stufe steigen zu müssen, gelangt die rüstige Pensionistin, der man ihre 85 Jahre nie und nimmer ansieht, zu allen Räumen des Hauses, auf die Terrasse und zum Pool. Das Schwimmbad und der Garten werden gemeinsam von der gesamten Familie genutzt, sie sind eine Stätte der Begegnung der Generationen: etwa mit Enkel Clemens, einem Informatiker, der oft bei den Eltern zu Besuch ist und es absolut „steil findet, dass die Oma in so einem Haus wohnt“. Als Einstandsgeschenk zum Bezug des Einliegerhauses hat Johanna Haindl einen Strandkorb bekommen und mit einem Glas Sekt auf ihr neues Leben angestoßen. „Ich fühle mich wie eine Prinzessin“, sagt sie. Ein royales Kompliment an ihr neues Zuhause.