Es mag an der speziellen Geschichte und den Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens liegen, dass Barcelona eine gewisse Meisterschaft darin entwickelt hat, Dinge freizulegen: Reste des römischen Augustus-Tempels in einem verstecken Innenhof, mittelalterliche Straßenzüge im angesagten Stadtteil El Born. Die 1,6-Millionen-Einwohner-Stadt mit neun Universitäten kann sich gut darauf besinnen, was sie hat - und macht etwas daraus. So hat sie sich nach London, Paris, Berlin, Amsterdam und Dublin zur sechstwichtigsten Start-up-City Europas etabliert. Dafür, wie sie die Wege dafür "ausgräbt" und den Talentepool schöpft, interessiert sich derzeit eine Delegation von Kärntner Unternehmern, die im Rahmen der Exportoffensive von Wirtschaftskammer und Land Kärnten in die Hauptstadt Kataloniens gereist ist.

Gruppenfoto am Jachthafen mit dem markanten Hotel W (steht für Vela = Segel) im Hintergrund
Gruppenfoto am Jachthafen mit dem markanten Hotel W (steht für Vela = Segel) im Hintergrund © Eva Gabriel
Hemma Kircher-Schneider (Außenwirtschaft Wirtschaftskammer Kärnten), Clara Navarro Colomer (Ship 2B Stiftung), Österreichs Außenhandelsdelegierter in Spanien, Ernst Kopp: "Wir brauchen die crazy people."
Hemma Kircher-Schneider (Außenwirtschaft Wirtschaftskammer Kärnten), Clara Navarro Colomer (Ship 2B Stiftung), Österreichs Außenhandelsdelegierter in Spanien, Ernst Kopp: "Wir brauchen die crazy people." © Eva Gabriel

"Start-ups sind die Disruptoren, die Innovatoren, die crazy people (verrückten Leute) der Zeit", sagt die charismatische Clara Navarro Colomer, die die Ship 2B Stiftung mitgegründet hat, die sich auf  Gründungsideen mit positiven sozialen und ökologischen Auswirkungen spezialisiert hat - von Methoden zur Heilung von Leukämie bei Kindern bis zu nachhaltigen Musikfestivals. Die Stiftung gehört zu den wichtigsten Start-up-Acceleratoren (Beschleunigern) Spaniens. Sie sucht Investoren, filtert Businessmodelle heraus. Navarro Colomer: "Geschäft und Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus."

Marion Kanalz (Movevo), Daniel Stippich und Heike Glantschnig (Alpsware beim Accelerator Ship2B
Marion Kanalz (Movevo), Daniel Stippich und Heike Glantschnig (Alpsware beim Accelerator Ship2B © Eva Gabriel

Die Entwicklungsagentur Barcelona Activa dagegen gehört der Stadt und vereinigt auch Agenden wie die von Arbeitsmarktservice und Entwicklungsagentur in sich. "Mit unserem Projekt Barcelona Accelera verwalten wir Risikokapital-Fonds, um damit gezielt innovative Unternehmen zu unterstützen", berichtet Marc Sans Guanabens.

Marc Sans Guanabens von der städtische Entwicklungsagentur Barcelona Activa: "Wir haben neun Universitäten und 252.000 Studenten. Es gilt, den Talentepool zu heben"
Marc Sans Guanabens von der städtische Entwicklungsagentur Barcelona Activa: "Wir haben neun Universitäten und 252.000 Studenten. Es gilt, den Talentepool zu heben" © Eva Gabriel

Auch im Start-up-"Hafen" Pier 01 ist die Perspektive weit - nicht nur, weil man von der Dachterrasse einen herrlichen Ausblick auf den Jachthafen Port Vell und den Hausberg Monjuic hat.

Co Working-Space im Pier 01 in Barcelona
Co Working-Space im Pier 01 in Barcelona © Eva Gabriel

Hier ist Tech Barcelona untergebracht, ein unabhängiger Verein, der sich die Stärkung der digitalen und technologischen Szene und die Schaffung von Einhörnern, also Start-ups mit hohen Marktbewertungen, zur Aufgabe gemacht hat. Ähnlich agieren die Mobile World Capital-Initiative und diverse andere professionelle Beschleuniger, Co-Working-Spaces und Innovationszentren in der Stadt. Barcelona habe das "Gesetz der großen Zahl" verstanden, sagt der gebürtige Tiroler Außenhandelsdelegierte Ernst Kopp. "Start-up-Entwicklung in wie Samen in die Erde legen. Es gehen nicht alle auf, aber einige wachsen besonders hoch." 1000 Start-ups sind laut Kopp in Barcelona derzeit am Werk: "Die spanischen Jungunternehmen haben es im Vorjahr gemeinsam auf Finanzierungen von vier Milliarden Euro gebracht." Relativ niedrige Lebenshaltungs- und Lohnnebenkosten in Barcelona begünstigen den Boom.

Zu Tisch im Start-up-Hafen Pier 01 in Barcelona: Marc Gfrerer (Logmedia) und Eva-Maria Mischkulnig
Zu Tisch im Start-up-Hafen Pier 01 in Barcelona: Marc Gfrerer (Logmedia) und Eva-Maria Mischkulnig © Eva Gabriel

Die Handelsbilanz Österreich/Spanien ist ausgeglichen, der Austausch von Waren und Dienstleistungen betrug im Vorjahr 6,4 Milliarden Euro. Die Arbeitslosenquote ist in Spanien mit aktuell zwölf Prozent hoch. Daher ist auch die mögliche Suche nach Programmierern und Etablierung von IT-Hubs ein Thema in der Kärntner Delegation, die von der Außenwirtschafts-Leiterin der Wirtschaftskammer Kärnten, Hemma Kircher-Schneider, angeführt wird. Die Start-up-Gründer Marion Kanalz (Bewegungs-App Movevo) sowie Daniel Stippich und Heike Glantschnig von Alpsware suchen Inspiration und Tipps. Die beiden Kärntner Start-ups sind gerade dabei, weitere Geschäftsideen zu realisieren. Sie erfahren auch, dass die Marktbearbeitung hier lange dauert und ein Beziehungsgeschft ist: reden, reden, reden. Auch Logmedia-Gründer Marc Gfrerer aus Villach koppelt gerade wieder ein Cyber Security-Start-up aus und sagt: "Wir würden uns für Kärnten auch private Acceleratoren wie hier in Barcelona wünschen." Mit dabei sind unter anderem auch Social-Media-Consulterin Eva-Maria Mischkulnig,Andreas Lanner (Lanmdia, Hermagor), Sabine Kathol (Ringana), Investment-Berater Andreas Petschar, Walter Prutej (Seeport), Patrick Struger vom Software Internet Cluster und Sandra Moschitz vom Gründerzentrum Build in Klagenfurt.

Die Feierlichkeiten rund um die Stadtpatronin Mercè gehen gerade zu Ende. Mercè soll Barcelona von einer Heuschreckenplage bewahrt haben. Ein gutes Omen auch für die Start-up-Szene.