Der Verbund eröffnete seine erste PV-Großflächenanlage in Kärnten, in Niederösterreich wird eine zehnmal größere gebaut. Wie viele PV-Anlagen sollen folgen?
MICHAEL STRUGL: Wir haben das Ziel, 20 bis 25 Prozent des Portfolios durch Sonne und Wind abzudecken. Davon wird ein guter Teil Photovoltaik sein mit einer kritischen Masse an Anlagen. Wie viele, hängt von Flächen und Genehmigungen ab.

Bis 2030 will Österreich den Strombedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen decken. Dabei gibt es erhebliche Widerstände gegen Windräder, Wasserkraftwerke, auch PV-Anlagen.
Das wird eine Herausforderung. Wir brauchen ein breites Verständnis in der Bevölkerung für die Notwendigkeiten. Für diese Überzeugungsarbeit benötigen wir die Politik.

Was sind Ihre Erwartungen in Bezug auf das Erneuerbaren-Ausbaugesetz, das Ministerin Gewessler demnächst vorlegen will?
Wir erzeugen derzeit in Österreich 73 Terawattstunden. Die Regierung sagt, sie will 27 Terawattstunden aus erneuerbarer Nutzung dazubauen. Ein Riesenschritt. Wenn man das in kurzer Zeit schaffen will, braucht man Anreizsysteme und Verfahren, die in vernünftiger Zeit abgeschlossen werden. Wir sind schon zeitkritisch, das Gesetz soll mit 1. Jänner in Kraft treten – da läuft die Uhr.

Brauchen die Behörden bei Energieprojekten zu lange?
Die Verfahren sind vielfach zu lange und zu kompliziert. Das verteuert die Projekte immens.

Drei bis vier Terawattstunden sollen aus Verbund-Wasserkraftwerken kommen. Wissen Sie schon, wo diese gebaut werden?
Wir haben sehr viele Projekte in der Revitalisierung. Durch die Effizienzsteigerung bestehender Anlagen können wir einen größeren Anteil leisten. Wenn die Kriterien des Gesetzes sehr streng sind, wird man die Wasserkraft nicht mehr sehr ausbauen können.

Kleinwasserkraftwerke werden jedenfalls nicht reichen?
Die Ausbaumöglichkeiten in Österreich sind nicht mehr allzu groß, aber das eine oder andere Projekt wird möglicherweise machbar sein.

Sieben bis acht Terawattstunden will der Verbund aus Windkraft erzeugen – woher kommt der Strom?
Wir haben ein Portfolio von etwa 400 Megawatt. Wir suchen jetzt derzeit weitere Möglichkeiten – geeignete Standorte, um diese organisch zu entwickeln oder in der Zusammenarbeit mit Projektentwicklern, um bestehende Anlagen oder Projekte zu akquirieren.

Mellach wird zum Wasserstoff-Forschungszentrum. Wie weit ist man im Verbund mit dem Projekt?
Wir wollen Mellach zu einem großen Forschungs- und Innovationszentrum für grünen Wasserstoff und Re-Elektrifizierung machen. Es kann sein, dass man zur Hochtemperaturelektrolyse Hotflex im Testbetrieb weitere Elektrolyseure im größeren Maßstab dort baut. Wir stehen noch am Anfang, haben den Anspruch, auch international gesehen zu werden.

Für Kritiker ist grüner Wasserstoff zu teuer und zu ineffizient.
Richtig ist, dass grüner Wasserstoff derzeit doppelt so teuer wie grauer Wasserstoff ist. Die Politik muss den Rahmen so legen, dass man die Produktion unterstützt. Erst mit den Skaleneffekten großer Anlagen hat grüner Wasserstoff Chancen, am Markt zu bestehen.

Die Regierung nimmt sich vor, dass auf jedem zweiten Hausdach in Österreich Solarstrom erzeugt wird – braucht man noch große PV-Anlagen auf Grünflächen?
Wenn man die elf Terawattstunden erreichen will, ja. Nicht alle Dachflächen sind geeignet – und das geht sich schon quantitativ nicht aus.

Die Coronakrise kostet auch die Energieversorger enorme Summen. Um wie vieles herausfordernder wird es nun, die Klimakrise zu stemmen?
Die Pandemie hat es nicht einfacher gemacht. Die Unternehmen müssen die Auswirkungen verdauen. Die vielen geplanten Investitionen ins Energiesystem sind eine riesige Chance. 25 Milliarden Euro würde die Energiewende kosten, wie sie die Bundesregierung definiert, dazu kommen Wertschöpfungseffekte von 18 Milliarden.

Was sagt Ihnen aktuell der Stromverbrauch über die wirtschaftliche Erholung?
Wir hatten am Höhepunkt des Lockdowns massive Einbrüche um bis zu 15 Prozent. Wir sehen eine Erholung, sind aber noch nicht auf dem Vorjahresniveau.

Die Wetterextreme nehmen weiter zu – wie realistisch ist ein drohender Blackout?
Die Aufgabe, das System zu balancieren, wird immer schwieriger. Immer mehr volatile Kapazität kommt in den Markt, immer mehr gesicherte Kapazität wird herausgenommen. Gesicherte Infrastruktur und Speicherkapazitäten fehlen im nötigen Ausmaß. Es war da oder dort schon einmal knapp. Wenn man nicht reagiert, ist die Gefahr eines Blackouts real.