Der Fiskalrat berät Regierung und Parlament und überwacht die Einhaltung der Stabilitätskriterien beim Budget – wie groß ist Ihr Einfluss?
GOTTFRIED HABER: Der Fiskalrat kann über die Bereitstellung faktenbasierter Analysen einen sehr wertvollen Beitrag leisten. Es geht darum, Fakten außer Streit zu stellen und durch eine informierte Diskussion eine politische Entscheidung möglich zu machen.

Sie wollen den Fiskalrat stärker als bisher in der Öffentlichkeit positionieren. Warum ist Ihnen das wichtig?
Es zählt zu unseren Aufgaben, auch die öffentliche Diskussion über die Stabilität und Nachhaltigkeit der Haushalte zu führen. Bis jetzt haben wir uns an eine Fachöffentlichkeit gewandt. In Zukunft werden wir weitere Kanäle nützen.

Sie mahnen Reformen ein. Wie beurteilen Sie den bisherigen Reformeifer der Regierung?
Es ist wichtig, erste Schritte gesetzt und das Budget auf einen guten Weg gebracht zu haben. Besonders wichtig ist aber, dass man diesen Weg weitergeht.

Experten sind sich noch nicht einig darüber, ob die Strukturreform der Sozialversicherungsträger ein Erfolg wird. Wie sehen Sie das?
Es gibt zwei Dimensionen - die organisatorisch-strukturelle und die inhaltliche. Man hat einen ersten Schritt gesetzt und die Organisation gestrafft. Dass die Anzahl der Träger sehr hoch war, steht außer Zweifel. Nun stellt sich die Frage, wie man inhaltlich damit umgeht, ob man die bestehenden Systeme von Bauern, Beamten, Angestellten und Arbeitern nicht noch weiter harmonisieren kann. Durch die Straffung der Organisation kommen sicher noch Möglichkeiten auf, inhaltliche Diskrepanzen zu überwinden und Synergien zu entdecken. Straffen heißt in diesem Fall: die Wünsche der Menschen besser erfüllen und das mit geringerem Aufwand. Das ist kein Widerspruch. Bessere Strukturen ergeben auch eine bessere Leistung. Es ist ein Irrglaube, dass Qualitätsverbesserungen immer mehr Geld kosten müssen.

Bessere Qualität trotz geringerem Aufwand - gilt das auch für die Finanzierung des Gesundheitssystems?
Die Finanzierungsstrukturen im Gesundheitssystem zählen zu den größten Themen, die mittelfristig anzugehen sind. Das Schlagwort ist die Frage der Finanzierung aus einer Hand. Die ist derzeit aufgeteilt zwischen den Sozialversicherungsträgern und den Ländern. Auch hier gibt es aber wieder eine inhaltliche Ebene, es geht um die Aufteilung zwischen dem stationären Bereich und dem niedergelassenen Bereich, Schlagwort Primärversorgung und Primärversorgungszentren.

In der Pflege klafft langfristig eine Finanzierungslücke. Der Regress ist abgeschafft. Wenn man die öffentlichen Haushalte nicht belasten will, gibt es dann eine Alternative zur Pflegeversicherung?
Das ist eine gesellschaftspolitische Entscheidung, es muss jedenfalls eine langfristige Lösung entwickelt werden. Man kann die Pflege auch aus den öffentlichen Haushalten bezahlen, nur muss dann klar sein, woher das Geld kommen soll. Die Finanzierung von Gesundheitsleistungen ist auch im europäischen Kontext zu betrachten. Was passiert, wenn jemand in Deutschland arbeitet und dann nach Österreich kommt - oder umgekehrt? Wie geht man mit Fällen um, wenn eine Person aus einem System konsumiert, in das sie nicht eingezahlt hat? Unsere Systeme basieren auf der Fiktion, dass Menschen immer im gleichen Land leben, immer im gleichen Beruf arbeiten und auch immer aus jenem Topf bedient werden, in den sie einzahlen. Im 21. Jahrhundert sind Menschen aber mobil. Und wenn Menschen mobil sind, muss das auch für Beiträge gelten. Daher glaube ich persönlich, dass versicherungsbasierte Systeme einfacher sind und zukunftsträchtiger. Versicherungen hängen leichter an Menschen als Finanzierungen aus Steuertöpfen.

Bei den Pensionen haben Sie klargemacht, das System hält nicht ewig. Was empfehlen Sie?
Ich persönlich tendiere zum schwedischen Modell. Dabei werden die Pensionsleistungen verstärkt an versicherungsmathematische Kriterien, also an die Einzahlungen angepasst. Dieses Modell lässt den Menschen die meiste Freiheit, es schreibt zum Beispiel nicht vor, wann man in Pension gehen muss. Da man aus diesem System nichts geschenkt bekommt, kann man in der Pension dazuverdienen. Das schwedische Modell passt gut zu modernen Lebens- und Arbeitswelten, es muss aber verknüpft sein mit einem sozialen Ausgleich für jene, die nicht ausreichend Beiträge geleistet haben. Denkbar ist aber auch ein Mix aus weiteren Maßnahmen über das Pensionsantrittsalter und die Beitragshöhen.

Wie dringend ist das?
Wir werden in den nächsten Jahren nicht in massive Schwierigkeiten geraten, aber es wäre gut gewesen, hätte man sich diese Frage vor 30 Jahren gestellt. Nun gilt es, zügig und auf einem gut diskutierten Grundkonsens eine Idee zu entwickeln, wie das System im Zielzustand aussehen soll. Dann gilt es, das System mit ersten behutsamen Schritten anzupassen.

Was ist notwendig, damit so ein System langfristig funktioniert?
Es sollte automatisch auf Veränderungen der Rahmenbedingungen reagieren, um nicht wieder mit Einzelentscheidungen eingreifen zu müssen. Es braucht klare Regeln, wie sich das System verhält, wenn zum Beispiel demografische Veränderungen stattfinden. Klare Regeln geben Sicherheit. Das ist die Aufgabe, vor der alle in Europa stehen, wobei Österreich in Sachen Nachhaltigkeitsmechanismen im Pensionssystem im Hintertreffen ist.

Österreich erzielt einen Budgetüberschuss, doch ist die Abgabenquote nach wie vor hoch. Sehen Sie Reformbedarf?
Es ist wichtig, in der Phase der Hochkonjunktur bei der Budgetkonsolidierung nicht locker zu lassen. Das schafft Raum für langfristige Strukturreformen. Unmittelbar brauchen wir keine Steuerreform, sondern erst, wenn die Konjunktur schwächer wird. Ich plädiere für eine Verschlankung des Steuersystems – administrativ. Das muss nicht eine steuerliche Entlastung bedeuten, führt aber dazu, dass sich Steuerzahler einen massiven Verwaltungsaufwand sparen. Langfristig ist eine Senkung der Abgabenquote auf europäisches Niveau sinnvoll.

Die Regierung könnte die schleichende Mehrbelastung von Steuerzahlern stoppen, indem sie die kalte Progression abschafft.
Ich bin überzeugt, dass dies ein sehr sinnvolles Element einer Steuerreform sein kann. Es würde das Ende der zusätzlichen Belastung durch die Inflation bedeuten und sollte unter allen Bausteinen einer künftigen Reform ganz vorne gedacht werden.