Bis vor Kurzem ist bei der Visite das obligate Wagerl zwischen Ärzten und Patienten gestanden: eine Datenquelle, die Abstand hielt. Heute sitzen Arzt oder Ärztin am Patientenbett. Die Mediziner setzen ihr Smartphone zur Informationsvermittlung ein, man spricht „über wirklich wichtige Dinge. Alles Organisatorische haben wir im Blick“, erklärt Oberärztin Alexandra Lassnig. „Parallel zum Gespräch mit dem Patienten können wir uns die Daten, Zahlen und Bilder anschauen, das Gesagte wird plakativer.“ Dank der Digitalisierung sei es so, „wie es früher einmal war“, erklärt sie.

Oberärztin Alexandra Lassnig zeigt, wie via App Fachexperten bei Befunden hinzugezogen werden können
Oberärztin Alexandra Lassnig zeigt, wie via App Fachexperten bei Befunden hinzugezogen werden können © Markus Traussnig

Fehlerquellen ausgeschaltet

Potenzielle Fehlerquellen wurden ausgeschaltet: Handschriftliche Notizen etwa ließen Interpretationsspielräume. „Das neue Tool verbessert die Patientensicherheit und die Behandlungsqualität“, lobt Primarius Georg Lajtai, ärztlicher Leiter des Privatspitals Maria Hilf in Klagenfurt. Mit erfreulichen Folgewirkungen: „Der informierte Patient kann bessere Entscheidungen über das weitere Vorgehen treffen. Er wird mündiger.“

Primarius Georg Lajtai schwärmt von der „ersten IT-Lösung, die Ärzte nicht behindert, sondern uns hilft“.
Primarius Georg Lajtai schwärmt von der „ersten IT-Lösung, die Ärzte nicht behindert, sondern uns hilft“. © Markus Traussnig

Röntgenbilder und Laborwerte via App

Die Ärzte haben via Smartphone-App bei Bedarf alles Wissenswerte mit, Verzögerungen wegen fehlender Daten gebe es nicht. Selbst dann nicht, sollten Kollegen außer Haus sein: „Über VPN stellen wir eine sichere Datenverbindung her, der Herzspezialist kann sich beispielsweise EKG-Daten ansehen, ohne ins Spital kommen zu müssen“, erzählt Lajtai. Unsichere Verbindungen via WhatsApp würden so umgangen. „Es ist ein neues Gefühl von greifbarer Medizin“, meint Lassnig, „wenn man während des Gesprächs gemeinsam Röntgenbilder und Laborwerte betrachten kann.“

Vielfältig soll sie sein, zugleich aber hilfreich, einfach in der Bedienung und zeitgemäß: Von so einer Software träumen viele Anwender. In heimischen Spitälern schien man diesen Wünschen gegenüber lange besonders resistent. Oder, wie Lajtai erklärt: „Die EDV musste erst von uns Ärzten lernen, was wir brauchen.“ Nachsatz: „Es ist jetzt das erste Mal, dass uns die IT hilft und nicht behindert.“


Das „erste Mal“, damit meint Lajtai das Resultat des gemeinsamen Lernprozesses. Es hört auf den Namen „Ebody“ und ist seit einem Jahr im Privatspital Maria Hilf, das zur Humanomed-Gruppe gehört, zu begutachten. Die hauseigene IT-Schmiede Humanomed IT warf dafür kurzerhand alles, was bisher an Software im Spital kursierte, über Bord und entwickelte „von null weg alles neu“, erzählt Geschäftsführer Johannes Eder. Kostenpunkt von „Ebody“: nahezu zehn Millionen Euro.

Die hauseigene IT-Schmiede Humanomed IT entwickelte die Software mit dem Namen "Ebody"
Die hauseigene IT-Schmiede Humanomed IT entwickelte die Software mit dem Namen "Ebody" © Markus Traussnig

Die Klagenfurter IT-Experten konnten für die webbasierte Software, die auf allen Plattformen und Geräten läuft, kürzlich den Staatspreis „Consulting“ entgegennehmen. „Immer und überall Zugriff auf die Patientendaten“, lautet eines der trefflichsten Argumente für das innovative Programm.

Die papierlose Klinik

Bei dem Lokalaugenschein in der Klagenfurter Klinik wird deutlich, wie nah an der Praxis die Software arbeitet. Vom Check-in bis zum Check-out ist jeder Prozess am Patienten zu 100 Prozent digital erfasst. Ärzte und Pfleger arbeiten durchgehend papierlos: Beginnend bei der Fieberkurve über das OP-Management bis zu Diktat und Visite hat in Maria Hilf Papier ausgedient. Allein zur Darstellung aller wichtigen Vitalwerte zur Patientengesundheit waren früher Informationen auf mehreren Seiten gelistet. „Es war ein permanentes Blättern“, erinnert sich Oberärztin Alexandra Lassnig. „Die Medizin war lange von Checklisten und vielen Zetteln geprägt – für den Patienten selbst blieb weniger Zeit in Pflege und Medizin“, denkt Lajtai zurück.
Das sei nun anders: Die in Kacheln organisierte Software, die auch als nativ programmierte App eingesetzt wird, gibt Papier den Laufpass. Die künstliche Intelligenz von „Ebody“ unterstütze Ärzte bei Befunden sowie der Entdeckung von Anomalien. Spracherkennung und Sprachsteuerung erleichtern die Arbeit des Arztes – Stichwort: „Alexa goes Medical“.
Eingesetzt werden soll „Ebody“ auch in Pflegeheimen, Rehazentren und Ordinationen. Mit Schaudern erinnern sich die beiden Ärzte, als sie testweise den Rechner herunterfuhren. „Das war so, als wären wir in die Steinzeit zurückversetzt, als man mit einem Hammer an Steinplatten ritzte“, schmunzelt Lajtai. Die Rückkehr zu Papier ist Notfällen vorbehalten: „Das Sicherheitskonzept bei Stromausfall sieht vor, kurzfristig auf Ausdrucke umzusteigen.“

"Das ist erst der Beginn"

Der ärztliche Leiter des Spitals Maria Hilf sieht die Digitalisierung des Gesundheitswesens erst am Beginn: „Das Thema wird noch eine viel größere Dimension bekommen.“ Dazu gehöre der standardmäßige Einsatz von Wearables – etwa Uhren, die den Blutdruck messen, von Bewegungssensoren oder Ringen, die die Körpertemperatur erfassen.