Wir sind im Wirkstoffbereich bei den Medikamenten fast ausschließlich von China und Indien abhängig. Und das bei einer volatilen Weltlage. Wir können uns auf nichts verlassen, der Mangel an Medikamenten bleibt eklatant. Da geht es um Schmerzmittel genauso wie um Krebsmedikamente“, schüttelt Johannes Khinast, CEO und wissenschaftlicher Leiter des RCPE (Forschungszentrum für die Entwicklung pharmazeutischer Anlagen) den Kopf.

„Jetzt hätten wir eine Technologie, die alle Probleme löst, um Europa von der Medikamentenabhängigkeit aus dem Ausland resilient zu machen. Diese neue Technologie Medikamente zu produzieren ist grüner, billiger, einfacher. Aber trotzdem passiert nichts – man hat die Finanzierung gestoppt“, wundert sich der international bekannte Forscher, zu dessen Auftraggebern die US-Arzneimittelbehörde FDA genauso gehört wie internationale Pharmariesen.

Der Gewöhnungsdefekt

Es ist ein Gewöhnungsdefekt eingetreten, sozusagen: Alle wissen, was schief läuft – aber man hat sich so daran gewöhnt, dass man zu wenig oder nichts mehr dagegen unternimmt. Rund 500 Medikamente sind von Lieferengpässen betroffen oder kontingentiert, darunter Krebs- und Blutdruck-Präparate genauso wie Antibiotika.

Apothekerkammer-Vize-Präsident Gerhard Kobinger spricht von einer „Mangelverwaltung“, die heute in Österreichs Apotheken auf der Tagesordnung steht. Corona-Nachwehen, löchrige Lieferketten, und Österreichs Preisgestaltung seien die Hauptgründe, warum die Malaise der fehlenden Medikamente nicht endet.

Die Politik versprach Besserung. Man wolle die Wertschöpfungskette von Asien wieder nach Europa und Österreich holen. Man wolle die Abhängigkeit zu Asien kappen. Aber nichts passierte.

Lösungsansatz auf Eis gelegt

Im Gegenteil: Der Lösungsansatz, der vor der Haustür liegt, wurde nicht aufgegriffen: Pharmaforscher des RCPE haben eine Pilotanlage für maßgeschneiderte Arzneien entworfen.

Gesellschafter des RCPE sind die TU Graz (65 Prozent), die KF Uni Graz (20 Prozent) sowie Joanneum Research (15 Prozent). Das bereits bekannte Projekt wurde auf Eis gelegt. Inoffizieller Grund: Die 120 Millionen Euro, die die Pilotanlage gekostet hätte, wurde in das Füllen der Gasspeicher investiert.

Veraltete vs. neue Technologie

Pharmazeutika werden in zwei Schritten hergestellt: Erst wird der Wirkstoff produziert dann der Wirkstoff mit unterschiedlichen Zugaben und Materialien zu einem Produkt weiter verarbeitet. „In beiden Produktionsschritten haben wir veraltete Technologien zur Verfügung“, analysiert Johannes Khinast. Diese alten Technologien basieren auf einem Verfahren, in dem mit großen Reaktoren gearbeitet wird, und man viele kleine Medikamenteneinheiten herstellt.

„Diese Systeme sind groß, teuer, brauchen viel Platz, die Qualität kann nicht gut überwacht werden. Und wenn man mit komplexen chemischen Verfahren arbeitet, dann kann es in den großen Reaktoren auch zu gefährlichen Situationen kommen – außerdem fallen hohe Kosten zum Beispiel für das Reinigen und das Entsorgen an.“

Das alte Verfahren könne man mit jener alten, umständlichen Autoproduktion vergleichen, bevor Henry Ford 1913 die Fließband-Produktion erfand und damit den Autobau revolutionierte. Die Autos „flossen“ in einem Zug durch die Fabrik.

Das Grazer Konzept

„Genauso ein Prinzip kann man auch in der Produktion von Medikamenten anwenden“, sagt Khinast, „und das ist im Prinzip unsere Idee einer fließenden Produktion“. Alle Produktionsschritte fließen in einem genau definierten Prozess ineinander.

Die Vorteile? „Anlagen können kleiner dimensioniert und jeden Tag 24 Stunden lang betrieben werden. Statt einem 1000-l-Reaktor brauche ich nur handtellergroße Reaktoren. Diese Anlage ist wesentlich platzsparender und billiger in den Investitionskosten, aufgrund des fließenden Produktionsverfahrens gibt es keine Schwankungen in der Qualität, dadurch hat man eine hocheffizientere, grünere und billigere Produktion, mit weniger Abfall. Das Ganze ist auch sicherer.“

In das Projekt seien 25 Jahre Wissen und Forschungserfahrung eingeflossen, so Khinast. „Und wir nützen das heute nicht.“ Man könne auf weniger als 100 Quadratmetern zehn Millionen Tabletten pro Woche herstellen.

Kleine Hoffnung

„Die Demoanlage wäre ein wissenschaftliches Leuchtturmprojekt gewesen, das System hat noch keiner in der ganzen Branche so aufgebaut und zum Laufen gebracht – wir aber können das. Wir hätten in der ganzen Welt das Interesse geweckt. Und diese kompakten Anlagen könnte man überall aufstellen und wie ein Franchise weltweit aufbauen.“

Einen Hoffnungsschimmer hat Khinast aber: Noch im Herbst sollen neue Gespräche mit dem zuständigen Ministerium starten.