Im Strafprozess um die milliardenschwere Pleite des deutschen Zahlungsabwicklers Wirecard sorgt ein Brief des untergetauchten Ex-Vorstands, des Österreichers Jan Marsalek, für Streit. Der Brief wurde nicht verlesen, stattdessen wurde die ehemalige Wirecard-Vorständin und gebürtige Österreicherin, Susanne Steidl, befragt.

Bei Wirecard sollen die mutmaßlichen Betrüger um den Hauptverdächtigen Marsalek ihre Geschäfte sogar vor dem übrigen Vorstand abgeschottet haben. Das sagte die frühere Produktvorständin Steidl am Mittwoch als Zeugin im Münchner Wirecard-Prozess aus. "Ich habe keine Passwörter gehabt", so die 52 Jahre alte österreichische Managerin.

Seit drei Jahren auf der Flucht: Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek
Seit drei Jahren auf der Flucht: Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek © (c) APA/AFP/Police Munich/HANDOUT (HANDOUT)

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"Das Schreiben in der Schublade verschwinden lassen?"

Für Aufregung sorgte zu Beginn des Prozesstags das Lebenszeichen von Marsalek per Anwaltsbrief. Während die Verteidiger des angeklagten früheren Chefs Markus Braun in der Verhandlung des Landgerichts München am Mittwoch eine Verlesung des bisher nicht veröffentlichten Schreibens an die Strafkammer forderten, lehnte der Vorsitzende Richter Markus Födisch dies vorläufig ab. Er sehe kaum Möglichkeiten, den Brief in die Gerichtsverhandlung einzuführen, sagte Födisch ohne nähere Begründung. Darüber entscheiden werde er zu einem späteren Zeitpunkt.

Brauns Anwälte Alfred Dierlamm und Nico Werning protestierten, da Marsaleks Brief wesentliche Angaben zu Brauns Entlastung enthalte. "Wollen Sie das Schreiben in der Schublade verschwinden lassen?", rief Dierlamm. Dies mündete in minutenlange heftige Wortgefechte zwischen den Anwälten, dem Richter und Staatsanwältin Inga Lemmers, worauf Födisch die Sitzung unterbrach und mit den übrigen Richtern den Saal verließ. Wenige Minuten später setzte Födisch die Verhandlung fort und erklärte, er werde Brauns Anwälten im späteren Tagesverlauf das Wort für einen Beweisantrag erteilen. Zunächst solle wie geplant die österreichische Ex-Produktvorständin Susanne Steidl als Zeugin vernommen werden.

Der 43-jährige Wiener war beim Zusammenbruch von Wirecard vor drei Jahren untergetaucht und wird international gesucht. Marsalek galt als führender Kopf bei Wirecard und war dort für das Asien-Geschäft verantwortlich. Wirecard war im Juni 2020 zusammengebrochen, als aufflog, dass auf Treuhandkonten in Asien 1,9 Mrd. Euro fehlten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Österreicher Braun und zwei weiteren Angeklagten Bilanzfälschung und großangelegten Betrug vor. Demnach sollen die Manager Milliardenerlöse von sogenannten Drittpartnern erfunden haben, um den Konzern schönzurechnen. Die Staatsanwaltschaft stützt sich auf Angaben des angeklagten Ex-Managers Oliver Bellenhaus, der als Kronzeuge gilt. Braun und seine Anwälte hingegen haben erklärt, dass das Geld existiert habe und hinter Brauns Rücken beiseitegeschafft worden sei.

"Drittpartnergeschäft hat existiert"

Mit dem Brief habe sich Marsaleks Anwalt bereits vor einigen Wochen im Namen seines Mandanten an das Gericht gewandt, sagten mehrere mit dem Schreiben vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Marsalek lasse darin erklären, das Drittpartnergeschäft habe existiert, und Bellenhaus habe in mehreren Punkten nicht die Wahrheit gesagt. Die "Wirtschaftswoche" hatte zuerst über das Schreiben berichtet. Von Marsaleks Verteidiger war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Gericht und Staatsanwaltschaft bestätigten lediglich die Existenz des Schreibens.

Der Aufenthaltsort von Marsalek ist weiter unbekannt, bestätigte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Wien am Dienstag auf APA-Anfrage einmal mehr. Sie hat zwar eine gewisse Zuständigkeit, weil Braun und Marsalek österreichische Staatsbürger sind und es auch in Österreich einige Opfer etwaiger strafbarer Handlungen geben könnte. Doch der Schwerpunkt mutmaßlicher krimineller Handlungen liegt in Deutschland.

So ist das Ermittlungsverfahren gegen Braun gänzlich an Deutschland, konkret an die Staatsanwaltschaft München 1, abgegeben, da der Sachverhalt ident ist. Hier leistet die WKStA wenn nötig Rechtshilfe. In der EU gilt ein Doppelbestrafungsverbot. Wenn in diesem Fall in Deutschland ein Urteil fällt, ist der Fall auch in Österreich erledigt.