Ob Österreich 2024 aus der "Phase mit dem Charakter einer Stagflation" (hohe Inflation, stagnierendes Wirtschaftswachstum), in der es sich heuer befindet, heraustreten kann, sei noch offen, sagt Holger Bonin, ab 1. Juli neuer Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS). Das Wachstum wird in Österreich nur halb so groß sein wie im Euro-Raum. Auch der noch resiliente Arbeitsmarkt werde von der trüben wirtschaftlichen Stimmung wohl bald betroffen sein: "Der Arbeitsmarkt bremst immer mit Verzögerung", erwartet Bonin eine "deutliche Seitwärtsbewegung".

Über das Konzept, dass etwa Menschen ohne Beschäftigung (aber nicht nur diese) geringfügig zum Arbeitslosengeld rund 500 Euro monatlich dazuverdienen dürfen, müsse "nachgedacht" werden. Das sei "wichtiger, als nur auf die Arbeitslosen zu schauen", meinte Bonin Richtung seines Vorvorgängers als IHS-Chef Martin Kocher, heute Arbeits- und Wirtschaftsminister ("Ein Tropfen auf dem heißen Stein"). Die Geringfügigkeit generell abzuschaffen sei zwar "extrem", aber eine "Abmilderung" der Regelung ratsam.

"Nicht so sehr in die Vergangenheit schauen"

In welchem Ausmaß die Inflation derzeit tatsächlich durch höhere Löhne getrieben wird, sei unklar. Es könne sogar noch stärker sei als erwartet. Das sollten die Tarifpartner berücksichtigen. Es sei ein großes Risiko für die Inflation, die Löhne weiter stark zu steigern. "Wir haben derzeit eine sehr hohe wirtschaftliche Unsicherheit." Bonin erneuert daher seinen Vorschlag, die Lohnerhöhungen auf mehrere Jahre zu strecken: "In Österreich ist es sehr besonders, dass man sich bei den Lohnerhöhungen an der Teuerung der Vergangenheit orientiert." Zudem gebe es in Österreich sehr viele Indexierungen, dies ebenfalls eine Besonderheit. Die Inflation sei zunehmend hausgemacht, erklärt Bonin. Ein Aussetzen der Umsatzsteuer auf Lebensmittel, wie sie die SPÖ und der ÖGB fordern, lehnt er ab: "Österreich ist nicht sehr stark, was den Wettbewerb im Handel betrifft." Eine solche Maßnahme sei daher teuer und auch zu breit gestreut.

"Viele mit der Gießkanne erwischt"

Bonins schon früher geäußerter Vorschlag, die erst heuer abgeschaffte kalte Progression für eine Zeitlang wieder einzuführen, relativierte er in der ZIB 2 am Mittwochabend. Die Reform sei sinnvoll gewesen, betonte der neue IHS-Chef. Im letzten Jahr seien aber sehr viele Menschen mit der Gießkanne "erwischt" worden, die die Leistungen gar nicht benötigt hätten. Über ein Aussetzen der kalten Progression würden sie wieder einen höheren Beitrag leisten, um die Staatsfinanzen zu sanieren.

"Weniger Steuereinnahmen als vorher"

Die am Dienstag veröffentlichte Studie der Boston Consulting Group, wonach ein Drittel des Finanzvermögens in Österreich lediglich 335 Menschen gehört, löste eine neue Diskussion über die Einführung einer Erbschafts- bzw. Vermögenssteuer aus. Über die Erbschaftssteuer sollte man nachdenken, erklärt Bonin, die daraus lukrierten Mehreinnahmen sollte man "zurückgeben" über eine Reduktion der im internationalen Vergleich sehr hohen Steuern auf Arbeit. Nichts hält Bonin von einer Vermögenssteuer, diese sei aus ökonomischer Sicht "schlecht" und sehr teuer - sowohl in der Erhebung als auch im Vollzug. "Im Endeffekt könnte es sein, dass man am Ende weniger Steuereinnahmen hat als vorher."

Zum Schluss etwas Positives: Bonin habe es, erklärt er Moderator Armin Wolf, überrascht, wie effektiv und digital die Verwaltung in Österreich sei.