Ein großes und wichtiges Thema für die ÖBB ist derzeit der Bau der Koralmbahn. Wie wird diese die Mobilität in Kärnten verändern?

REINHARD WALLNER: Mit der Koralmbahn bricht für Kärnten im Dezember 2025 ein neues Zeitalter an. Sie wird sowohl qualitativ als auch quantitativ einen Umbruch der Mobilität für Kärnten bewirken. Eine Riesenchance für Kärnten. Um diese auch nutzen zu können, müssen  zusätzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, sowie das dafür erforderliche Bewusstsein in der Bevölkerung und bei allen Interessenträgern.

Welche Möglichkeiten konkret werden sich durch die Koralmbahn auftun?

Möglichkeiten im Freizeitbereich und in der Arbeitswelt. Für Tagespendler wird die Strecke nach Graz kein Problem mehr darstellen. Das heißt, man kann in Kärnten wohnen und zur Arbeit nach Graz pendeln - aber natürlich auch umgekehrt. In St. Paul im Lavanttal beispielsweise entsteht ein neuer Fernverkehrshaltepunkt, an dem auch Railjets halten werden. Sie brauchen dann rund 30 Minuten nach Graz. Von Klagenfurt aus sind es 45 Minuten. Steirer werden sich beispielsweise überlegen, ihren Lebensmittelpunkt in das Kärntner Seengebiet zu verlagern. Die Wirtschaftsräume der Steiermark und Kärntens rücken deutlich näher zusammen, was sich auch auf den Arbeitsmarkt und damit auf das Fachkräftethema auswirken wird.

Mit der Koralmbahn ist man in 45 Minuten in Graz. Viele bedauern aber, dass es keine Haltestelle am Flughafen geben wird.

Das wäre bei einem Zug, der in einer Geschwindigkeit wie der Railjet unterwegs ist, nicht effizient. Er müsste zwei Mal in kurzem Abstand stehen bleiben. Es wird aber im 10-Minuten-Takt Verbindungen mit der S-Bahn zum Flughafen geben.

Wie wird die Kapazität in Kärnten abseits der Koralmbahn weiter ausgebaut?

Mit den Cityjets, die auch mit Wlan ausgestattet sind, haben wir qualitativ einen zeitgemäßen Standard geschaffen. 2023 kommen weitere Garnituren. Die Dieselloks fallen dann weg, 15 neue E-Triebwagen werden stattdessen installiert. Insgesamt sind es dann 42 E-Triebwagen, die alle Stücke spielen. Mit der Vollinbetriebnahme der Koralmbahn wird  der Koralmtunnel und der Abschnitt Klagenfurt  bis zum Bahnhof St. Paul im Lavanttal zweigleisig in Betrieb genommen. Damit verbunden wird es auch eine deutliche Ausweitung des Fahrplanangebotes sowohl in Schienennah- als auch Fernverkehr geben.

Eine Großstadt tut sich mit einem Mobilitätskonzept, das Anbindungen im Minutentakt bietet, deutlich leichter, als ein Bundesland wie Kärnten mit nur einigen kleineren Ballungszentren. Welche Lösungsansätze gibt es in dem Zusammenhang, um den Kärntnern einen besseren Service zu bieten?

Es gibt in Kärnten S-Bahn-Linien in Bereichen, wo 80 Prozent der Bevölkerung leben. Da ist das Bahnsystem gut erschlossen. Und vielfach gehen Züge im 10- bis 30-Minuten-Takt. Mit Dezember 2020 haben wir es geschafft, nahezu auf allen S-Bahnlinien zumindest einen Stundentakt  anzubieten. Ein ganz wichtiger Schritt in Richtung Verlässlichkeit des Angebotes. Die Bereiche, die schienenseitig nicht erschlossen sind, sind die Nockberge und die hochalpinen Gegenden. Generell braucht es eine effiziente Ergänzung der Bahnlinien durch Buslinien beziehungsweise durch andere kleinere Systeme - eine Verästelung. Mittlerweile gibt es in Kärnten 37 Anrufsysteme. Das Problem ist, sie sind nicht vernetzt, weil es verschiedene Anbieter sind. Hier müsste man ansetzen. Und meine Vision, was den zeitlichen Abstand zwischen den Zügen anbelangt, ist ein 30-Minuten-Takt für alle Linien.

Alle sprechen permanent von Klimazielen. Wie kann der öffentliche Verkehr aktiv dazu beitragen, diese zu erreichen?

Das qualitative und quantitative Angebot ist die Basis dafür, dass Menschen ihr Mobilitätsverhalten ändern.Und nur wenn dieses geändert wird, können Klimaziele erreicht werden. Der Cityjet so ein Teil des Anreizes zur Verhaltensänderung.

Öffentlicher Verkehr und Tourismus - gibt es in dem Punkt Verschränkungen bzw. Ziele in Kärnten?

Es gibt jetzt erstmals ein Pilotprojekt der ÖBB mit den Tourismusregionen Villach/Faaker See/Ossiacher See, Nassfeld/Lesachtal/Weissensee und seit Kurzem auch mit dem Wörthersee. Gäste, die dort in Beherbergungsbetrieben untergebracht sind, nutzen die S-Bahn mit der jeweiligen Gästekarte kostenlos. Finanziert wird das aktuell von den Tourismusregionen selbst. Wünschenswert wäre aber ein Modell, wie es in Südtirol schon seit Jahren flächendeckend angewandt wird, und wo auf diese Weise Anreize für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel geschaffen werden. Der Beitrag für den öffentlichen Verkehr ist dabei ein kleiner Teil der Nächtigungsabgabe, den der Gast mitzahlt.

Welche Projekte wären aus Ihrer Sicht in Kärnten in Sachen Mobilität gemeinsam mit den ÖBB noch zu verwirklichen? Wo müsste man ansetzen?

Es gibt Leitbetriebe in Kärnten mit tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ziel wäre es, hier individuell mit den Betrieben Mobilitätspläne für die Mitarbeiter zu entwickeln. Ein Beispiel, wo uns das hervorragend gelungen ist, ist in Unterkärnten die Firma Mahle. Gemeinsam mit dem Unternehmen wurde der Bedarf für die Mitarbeiter erhoben und das Angebot abgestimmt. 400 Mitarbeiter mehr nutzen seither den öffentlichen Verkehr. Andererseits gibt es große Unternehmen, die für ihre Mitarbeiter jede Menge Gratisparkplätze zur Verfügung stellen. Das ist kontraproduktiv. So werden wir die Mobilitätswende nicht erreichen.