Pro

Eine Vier-Tage-Woche oder eine generelle Arbeitszeitreduzierung sind für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen ein großer Gewinn. Und von dieser Zufriedenheit profitieren letztendlich auch die Kunden.
Klaus Hochreiter, Unternehmer

Die Auftragsbücher waren voll, das Thema Online-Marketing boomte und weiteres Potenzial lag brach. Gleichzeitig mussten Mitarbeiter jedoch laufend Überstunden machen und unsere Kunden oft monatelang auf Umsetzungen warten. Mit diesem herausfordernden Szenario sahen wir uns bei eMagnetix vor fünf Jahren konfrontiert. Der Grund: Es flatterten kaum Bewerbungen herein. Für uns als Online-Marketing-Agentur im ländlichen Raum stand fest: Wir müssen etwas ändern. Radikal und nachhaltig. Ein Konzept musste her, mit dem wir uns zum einen als attraktiver Arbeitgeber positionieren können, zum anderen die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen. Die Frage war nur: Wie können wir das erreichen? Wo müssen wir ansetzen?

Bisherige Bewerbungsgespräche verliefen in puncto Vorstellungen und Anforderungen oft ähnlich. Vor allem die jüngere Generation hat, unseren Erfahrungen zufolge, eine neue Devise verinnerlicht: Wir leben nicht nur um zu arbeiten, wir arbeiten um zu leben. Danach richten heutzutage junge Menschen ihr gesamtes Leben aus. Und dazu gehört auch ein Arbeitgeber, der ihnen nicht nur flexible und attraktive Arbeitszeitmodelle ermöglicht, sondern auch eine echte Work-Life-Balance. Das Statussymbol unserer Zeit ist demnach nicht mehr nur Geld, sondern vor allem Zeit.

In unseren Köpfen reifte daher folgende Idee: eine Arbeitszeitreduzierung auf 30 Stunden pro Woche, allerdings bei gleichem Gehalt. Dieses Konzept setzten wir 2018 um. In der Zwischenzeit haben wir unser Arbeitszeitmodell nochmals verfeinert und weiterentwickelt: Jeder Mitarbeiter kann mittlerweile von Woche zu Woche selbst entscheiden, ob er die 30 Stunden auf 4 oder 5 Tage aufteilen möchte und ob er wahlweise den Montag oder Freitag frei haben will. Gleitzeit und Homeoffice sind weitere für uns selbstverständliche Bestandteile unserer flexiblen Arbeitsbedingungen.

Wie wirkt sich das nun bei uns in Zahlen aus? Bestehende Mitarbeiter bewerten ihre Zufriedenheit im Unternehmen mit 4 von 5 möglichen Punkten, 83 Prozent fühlen sich seither gesünder und für 63 Prozent ist auch das Arbeitspensum gesunken. Gleichzeitig konnten wir die Mitarbeiterzahl verdreifachen und die Bewerberquote verzehnfachen. Diese Zufriedenheit macht auch vor unseren Kunden nicht Halt: Sie bewerteten die Zusammenarbeit mit eMagnetix kürzlich mit 4,6 von 5 möglichen Punkten. Unser Fazit: Eine 4-Tage-Woche und generell eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten ist ein Gewinn für alle Beteiligten.

Kontra

Die Vier-Tage-Woche als Allheilmittel ins Spiel zu bringen, geht an jeder Realität vorbei. Der Faktor Arbeit würde – zum Schaden des Standorts – noch teurer werden. Zudem kämpfen immer mehr Betriebe mit Personalmangel.
Josef Herk, Präsident der steirischen Wirtschaftskammer

eniger arbeiten und das für gleiche Geld – klingt doch super. Zumindest auf den ersten Blick, denn am Ende des Tages wird das jemand bezahlen müssen. Eine Vier-Tage-Woche würde den so und so (viel zu) teuren Faktor Arbeit in unserem Land preislich noch einmal ordentlich in die Höhe schnellen lassen. Außer man erhöht im selben Ausmaß die Produktivität. Das heißt, mehr Einsatz und in letzter Konsequenz auch mehr Druck für die einzelne Arbeitnehmerin und den einzelnen Arbeitnehmer, dass dieselbe Leistung in kürzerer Zeit erbracht wird. Ob das den Menschen dann wirklich eine bessere Work-Life-Balance bringt, sei dahingestellt . . .

Fakt ist: Überall dort, wo in den letzten Jahren Arbeitszeitverkürzungen eingeführt wurden – wie zum Beispiel in Frankreich – ist die Arbeitslosenquote gestiegen. Weil die Betriebe in diesen Ländern durch die Mehrkosten ein gutes Stück ihrer Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Für eine Region wie die Steiermark, wo jeder zweite Euro im Export, also im internationalen Geschäft verdient wird, wäre das ein Riesenproblem. Aber abgesehen davon haben unsere Unternehmen aktuell auch ganz andere Sorgen – und zwar Personalsorgen.

Das mag für manche angesichts der Coronakrise und der dadurch nach wie vor hohen Arbeitslosenzahl paradox klingen, ist aber wirtschaftliche Realität: Viele Betriebe, quer durch alle Branchen und Regionen, suchen händeringend nach Mitarbeitern – egal ob Fachkraft oder Hilfskraft. Dieser Mangel droht immer mehr zum Flaschenhals des Aufschwungs zu werden. Hier dann eine Vier-Tage-Woche als Allheilmittel ins Spiel zu bringen, geht an jeder Realität vorbei. Davon zeugt auch das aktuelle Wirtschaftsbarometer, die Konjunkturumfrage der WKO Steiermark. 82 Prozent der Unternehmerinnen und Unternehmer sehen in der Rekrutierung von qualifiziertem Personal die größte Herausforderung.

„Schuld“ daran ist die demografische Entwicklung. Durch sie gehen jetzt die geburtenstarken Jahrgänge in Pension, ihnen folgen nur mehr halb so viele Jugendliche. Überspitzt könnte man sagen, wir verlieren in der Steiermark nun Jahr für Jahr das Arbeitskräftepotenzial einer Stadt in der Größenordnung von Weiz. Darum muss unser Hauptaugenmerk nun auch auf den vorhandenen Potenzialen liegen. Wir müssen schauen, wie wir jenen helfen können fit für die Erfordernisse einer modernen Arbeitswelt zu werden, die heute noch keinen Job haben. Und natürlich können wir über eine noch bessere Work-Life-Balance diskutieren – aber nicht durch weniger, sondern durch flexibleres Arbeiten.