Der Lebensmittelhandel war so etwas wie der Krisengewinnler in dieser Pandemie. Stimmt die Außenwahrnehmung?
FRITZ POPPMEIER: Es hat sich gezeigt, dass die Menschen, wenn sie nur einen Ort aufsuchen können, jenen wählen, dem sie am meisten vertrauen und wo sie sich am sichersten fühlen. So gesehen waren wir Gewinner, aber kein Gewinnler. Natürlich hat der Lebensmittelhandel speziell in Österreich gut abgeschnitten. Wir haben dafür auch sehr viel in die Gesundheit der Kunden und Mitarbeiter investiert. Gleichzeitig haben wir in den Bereichen Shoppingcenter und Hervis auch sehr gelitten.

Die Verkäuferinnen und Verkäufer stehen in der Krise an vorderster Front. Wie hält man in der extremen, monatelangen Beanspruchung die Motivation hoch?
Die größte Motivation war die hohe Wertschätzung, die die Kunden gegenüber den Mitarbeitern gezeigt haben. Unser Ziel als Führung ist es, die Belastungen gut zu managen und auf eine wertschätzende Kultur zu achten, damit die Freude an der Arbeit aufrechtbleibt. Dazu gehört es, Perspektiven zu geben.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Regierung?
Ich habe die Politik als sehr engagiert wahrgenommen, wenn ich an das Frühjahr des Vorjahres denke. Da gab es ja kaum einen Wissenschaftler, der geglaubt hätte, dass wir 12 Monate später ein wirksames Serum haben würden. Die nächsten Wochen müssen jetzt zeigen, wie schnell es unter der Führung der Politik gelingt, die Menschen zu impfen und sie von der Notwendigkeit einer Impfung zu überzeugen.

Bekommen Ihre Mitarbeiterinnen in den Geschäften die zunehmend aggressive Gereiztheit in der Bevölkerung zu spüren?
Es gibt Fälle, wo Menschen die Nerven verlieren und das Benehmen. Es sind Einzelfälle. In Summe erleben wir eine große Achtsamkeit in den Märkten.

Den Menschen geht es also wieder besser? Sie wirken nicht so.
Sie sind unzufrieden mit der Situation. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Dass man sich nicht treffen, sich nicht umarmen kann, dass man nicht ins Gasthaus gehen und nicht auf Urlaub fahren kann, das geht allen klarerweise auf die Nerven. Aber das ist etwas anderes als die Angst, dass morgen die Versorgungskette reißt. Diese Angst war rasch verflogen.

Damit hat sich auch die Toilettenpapier-Phase in den Läden wieder gelegt?
Wir haben intern mit sanfter Ironie vom Toilettenpapier-Index gesprochen. Das ist so etwas wie ein Angst-Index. Wenn der schlagartig nach oben geht, dann weißt du, die Menschen sind in Sorge. Diesen sprunghaften Anstieg gibt es aber nicht mehr. Das stimmt mich zuversichtlich.

Was haben Sie aus dem Kaufverhalten der Kunden gelernt?
Wir haben sie als achtsam und diszipliniert wahrgenommen. Die Schutzmaßnahmen wurden mitgetragen. Im Einkaufsverhalten hat man gesehen, dass die Kundenfrequenz in der Krise zurückging, aber der Wert des einzelnen Einkaufs stieg. Was auffiel: Dass hohes Augenmerk auf bewusste Ernährung gelegt wurde, auf Bio- und Premium-Produkte. Dieser Trend hat sich im Vorjahr mit einem Zuwachs von 28 bzw. 25 Prozent verstärkt.

Der Trend geht einher mit einem Aufleben der Kochkultur, ein Phänomen ohne alte Rollenklischees. Deckt sich das mit Ihrer Wahrnehmung und Ihren Zahlen?
Ja, das ist so und wird auch so bleiben. Die beste Kundschaft ist der hungrige Mann (lacht), aber das Phänomen geht darüber hinaus. Der Megatrend, sich mehr zu bewegen und sich bewusster zu ernähren, von Regional bis Bio, hält an. Durch den Lockdown setzen sich die Menschen intensiv mit Rezepten und dem kreativen Kochen auseinander. Das Genießen im kleinen Kreis hat Konjunktur. Das ist ein Stück Lebensqualität, das wird nachhaltig sein.

Wenn alle bewusster leben wollen: Warum muss man im Winter Schwarzbeeren aus Peru oder Trauben aus Namibia anbieten?
Man kommt nicht umhin, die ganze Breite zu bieten. Der Trend zu sensiblerem, regionalem Kaufverhalten bleibt davon unberührt. Zu sagen, es gibt keine Bananen mehr, halte ich nicht für sinnvoll.

Spar will nicht Ernährungslehrer sein, aber man könnte mit gutem Beispiel vorangehen.
Wir wollen fördern, was für unsere Kunden und daher für unsere Bauern wichtig ist: Regionalität und Qualität. Es ist uns ein Anliegen, unsere Landwirtschaft zu begleiten und zu unterstützen. Spar führt 29.000 regionale Produkte von 2000 heimischen Erzeugern im Sortiment. Auf der anderen Seite ist es nun einmal so, dass die Kundschaft gewohnt ist, ein breites Anbot aus Obst aus dem Süden das ganze Jahr verfügbar zu haben. Diese Balance gilt es zu wahren. Wir wollen das Gute fördern, wollen aber auch nicht der Oberlehrer der Nation sein.

Spar hat sich stark gegen ein Einweg-Plastikpfand ausgesprochen, eine zentrale grüne Forderung. Warum stehen Sie da quer?
Weil es nicht die beste Lösung ist. Das Thema Plastikvermeidung steht bei uns obenauf. Aber es ist wichtig, darüber nachzudenken, welche Sammelsysteme es gibt und was man bei Verpackungen verbessern kann, damit sie besser recycelbar sind. Da gibt es einen Zehn-Punkte-Plan der Wirtschaftskammer. Nur eine Überschrift herauszunehmen und zu sagen, man will jetzt auf PET-Flaschen ein Pfand einheben, das ist zu kurz gesprungen. Das Papier des Ministeriums ist hinsichtlich Umsetzung und Kosten grundsätzlich falsch. Es ist ein Anschlag auf die Nahversorgung und so schlicht nicht realisierbar.

Was ist denn unrealistisch daran?
Es wurde berechnet, was das an Investition, an Arbeitszeit und an Platz kostet. In vielen Betrieben, die womöglich auch in einem Mietvertrag drinnen sind, gibt es keinen zusätzlichen Platz für einen Rückgabeautomaten und zusätzliches Leergut. Dieser Platz ginge auf Kosten der Verkaufsfläche – das wurde nicht bedacht. Insgesamt würde der Entwurf des Ministeriums ein Vielfaches von dem kosten, was angegeben wurde. Da liegt die Berechnung um einen mehrstelligen Millionenbetrag daneben.

Wie wird man in Zukunft einkaufen? Mit selbstfahrenden Autos, die vor dem Haus halt machen, und mit Drohnen, die die Ware aus der Luft zustellen?
Wir versuchen, am Puls der Zeit zu sein. Klar ist, dass es zu einer weiteren Digitalisierung des Warenflusses und der Kommunikation kommen wird. Wir haben es mit immer sensibleren und besser informierten Kundinnen und Kunden zu tun. Dem gilt es Rechnung zu tragen. Es geht um ein Leben mit allen Sinnen, die Krise hat das Bedürfnis danach gestärkt. Selbst wenn es im öffentlichen Verkehr eine völlig neue Welt gibt und der Zustellboom bleiben wird, wird man sich trotzdem danach sehnen, Mandarinen und frische Äpfel zu riechen oder persönlich zu erleben, wie Parmaschinken hauchdünn aufgeschnitten wird.

Wann wird man im Lebensmittelhandel zu den alten Schließzeiten zurückkehren?
Ich hoffe, möglichst bald. Ganz einfach auch deshalb, weil es Kundenströme entzerrt. Und ich würde mir auch wünschen, dass wir von der 20-Quadratmeter-Regel pro Kunde auf 10 Quadratmeter zurückkehren.

Haben Sie Pläne, an ausgewählten Sonntagen zu öffnen oder eine lange Einkaufsnacht anzubieten?
Grundsätzlich befürworte ich den Sonntag als Tag der Entschleunigung. Aber punktuelle Signale, wie die lange Nacht, halte ich für eine gute Idee. Definierte Sonntage im Jahr aufzusperren: Diese Forderung wird kommen, nicht aus dem Lebensmittelhandel, aber aus Zweigen wie dem Textil- oder Schuhhandel. Sie haben in der Pandemie so viele Kunden und Umsatz verloren, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer Schulter an Schulter darüber nachdenken sollten, wie man das aufholen kann. Da schließe ich nicht aus, dass es für einzelne Sonntage, und sei es nur für ein, zwei Jahre, zu Sonderlösungen kommt.

Geht der Konzernchef Fritz Poppmeier selbst einkaufen oder lässt er einkaufen?
Ich gehe natürlich selbst und das mit Begeisterung. Ich liebe es, Lebensmittel oder Sportartikel zu kaufen. Ich mag das Flanieren in der Vielfalt, und weil ich mich als lernendes Wesen begreife, durchstreife ich auch immer wieder die Angebotswelten der Mitbewerber.

Wann wird es mit der Wirtschaft wieder aufwärtsgehen?
Ich hoffe, bald. Die Einkommen der Haushalte sind stabiler als in vielen Nachbarländern. Entscheidend wird sein, die Leistungsbereitschaft und den Leistungswillen der Bevölkerung wieder zu erwecken.

Zweifeln Sie an diesem Willen?
Nein. Grundsätzlich sind die Leute fleißig. Aber zwölf Monate Krise, das lange Homeoffice, die Entschleunigung, das hinterlässt Spuren. Von Asien bis Amerika ist man schon in der Aufwachphase. Da müssen wir als Gesellschaft trachten, rasch in die Gänge zu kommen.