Sie werden heute 70 Jahre alt – wie begeht man einen solchen Geburtstag in Zeiten von Pandemie und damit verbundenem Lockdown?
Othmar Ederer: In völliger Stille und Abgeschiedenheit, die Regeln einhaltend, also auf eine ungewohnte Art. Aber es hat wenig Sinn, sich darüber zu beklagen. Normalerweise feiert man im Familienkreis, aber das geht derzeit nicht. Aber wenn es wieder möglich ist, wird sicher nachgefeiert werden.

Häufig ist von einer „neuen Normalität“ die Rede. Haben Sie damit leben gelernt?
Die neue Normalität wird das hoffentlich nicht werden. Aber derzeit sind die Dinge, wie sie sind. Diese Pandemie trifft die ganze Welt, das muss man so nehmen und darauf vertrauen, dass uns die Experten den richtigen Weg weisen und die Politik die richtigen Entscheidungen trifft.

Trifft die Politik die richtigen Entscheidungen?
Das ist extrem schwierig einzuschätzen, weil man als Bürger nur beschränkte Informationen hat. Die Politik trifft hoffentlich faktenbasierte Entscheidungen, im Großen und Ganzen macht sie das in Österreich aus meiner Sicht recht gut. Dass man sich in einzelnen Bereichen auch immer wieder Verbesserungen wünscht, ist logisch. Entscheidend ist, dass man aus den Erfahrungen etwas lernt und danach durchaus auch so etwas wie Manöverkritik betreibt. Ich würde davor warnen, permanent nur Schuldige zu suchen. Wovor ich umgekehrt aber auch warnen würde, ist, einmal zu sagen, es ist alles vorbei, jetzt müssen wir uns keine Gedanken mehr darüber machen, was wir hätten besser machen müssen.

Wie verfolgen Sie die wirtschaftlichen Entwicklungen?
Wir haben so eine Situation in dieser Form noch nie erlebt. Wenn man den österreichischen Weg hernimmt, sind die Dinge nicht so schlecht gelaufen – gesamthaft gesehen. Im Einzelfall wird das natürlich ganz unterschiedlich wahrgenommen. Die Pandemie betrifft die Wirtschaft und die Beschäftigten so unterschiedlich. Bestimmte Bereiche sind so gut wie überhaupt nicht betroffen, andere ganz massiv.

Als eine Art sozialen und kulinarischen Knotenpunkt gibt es in Ihrer großen Familie den Ausflugsgasthof Ederer am Weizberg – leidet man da mit Branchen wie der Gastronomie, die seit Monaten geschlossen sind, besonders mit?
Natürlich. Für jene Branchen, die so stark betroffen sind, ist das schon eine ordentliche Herausforderung, vor allem auch die Ungewissheit, wie es weitergeht. Dass hier das Bedürfnis nach mehr Klarheit und Planungssicherheit besonders ausgeprägt ist, ist nur verständlich. Andererseits, da muss man auch die Politik verstehen, sind diese Gesundheitskrise und ihr Verlauf so schwer einschätzbar.

Gelingt heuer dennoch das wirtschaftliche Comeback?
Ich bin zuversichtlich, dass wir uns nach Bewältigung der Gesundheitskrise wieder positiv entwickeln werden. In welcher Geschwindigkeit und in welchen Bereichen, das wird man aber erst sehen, eine Glaskugel haben wir nicht.

Wird die Coronakrise die Wirtschaft nachhaltig verändern?
Es wird sicherlich Veränderungen geben, etwas ganz Naheliegendes ist die Digitalisierung, die noch einmal deutlich voranschreitet. Das gilt auch für die neuen Kommunikationsformen. Aber was man dennoch nicht sehen wird, ist ein völliges Ersetzen von persönlichem Austausch und direktem Kontakt.

Welche Folgen erwarten Sie für die Versicherungswirtschaft?
Auch im Finanzdienstleistungsbereich bleibt die Digitalisierung zentral für die weitere Entwicklung. Noch viel stärker begleiten werden uns auch die grünen und nachhaltigen Finanzthemen. Der Klimaschutz wird auch die nächste ganz große Herausforderung sein.

Die Grawe investiert seit Jahrzehnten stark in Immobilien – in einigen Metropolen dieser Welt stehen mittlerweile Bürotürme und Geschäftslokale halb leer. Wie beobachten Sie diese Entwicklungen?
Die jetzige Situation ist zwar der Akutphase geschuldet, aber da wird sicher auch etwas bleiben. Es wird hier, nicht zuletzt aufgrund veränderter Geschäftsmodelle, im Bereich der Bürointensivnutzung und der Nutzung von Immobilien für Geschäftszwecke zu Veränderungen kommen.

Wie reagiert die Grawe als Immobilien-Investor darauf?
Was den Neubau betrifft, sind wir schon immer stark auf den Bereich Wohnen ausgerichtet gewesen, weniger auf Gewerbeimmobilien. Wir sind im gemischten Bereich tätig, also bei einem klassischen Innenstadtgebäude ist im Erdgeschoss eine gewerbliche Nutzung und darüber sind Wohnbereiche. Ich gehe einmal davon aus, dass etwa die Gastronomie nach dem Wiedererreichen eines Normalzustands wieder deutlich anziehen wird. Ob das bei allen Handelsbranchen so ist, wird davon abhängen, wie sich der Handel insgesamt entwickelt. Es klingt einfach und banal, aber man muss die Bedürfnisse der Mieter erkennen und geeignet darauf eingehen können.

Wir sehen derzeit nie gekannte Defizite und Schuldenberge im staatlichen Bereich. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Ich hoffe sehr, dass man das dann wieder in den Griff bekommt. Derzeit sorgen auch die Zentralbanken für entsprechende Geldmittel. Aber wir verschulden uns im öffentlichen Bereich in beachtlichem Ausmaß und müssen schauen, dass wir das in einer tragbaren Form halten. Ich bin kein Schwarzseher und zuversichtlich, dass uns das gelingt, wenn wir wieder in ein vernünftiges volkswirtschaftliches Arbeiten kommen. Es gibt dann aber eine Reihe grundlegender Probleme, die wir lösen müssen, in Österreich etwa den Bereich der Altersvorsorge, Stichwort Pensionen. Das ist ein Thema, das Österreich vor sich herschiebt, dem werden wir aber nicht entkommen, auch wenn das der gelernte Österreicher nicht wahrhaben möchte.