Die Pandemie bestimmt seit März unser Leben, persönlich und wirtschaftlich. Wie gehen Sie damit um?

STEFAN PIERER: Ich denke, dass der Lockdown zu Beginn die richtige Entscheidung war, weil man nicht wusste, wie man damit umgehen kann und soll, wie gefährlich und tödlich das tatsächlich ist. Man hat sich in den Unternehmen sehr, sehr professionell darauf eingestellt.

Waren Sie sehr vorsichtig?

Hände waschen, Abstand beachten, Kontakte überschaubar halten – das habe ich eingehalten. Nichtsdestotrotz: Wir sind ein großes, global agierendes Unternehmen, das lässt sich nicht vom Homeoffice aus führen.

Das Homeoffice ist aus Ihrer Sicht keine Option?

Ich sehe das Homeoffice sehr kritisch, wenn du dein Unternehmen verlangsamen willst, dann stelle es auf Homeoffice um. Das war kurzfristig eine Option, etwa dann, wenn jemand eine Kontaktperson eines Infizierten ist, der darf natürlich nicht in ein Unternehmen. Unsere Leute kommen freiwillig und mit Freude wieder ins Unternehmen, viele dieser Diskussionen um das Homeoffice sind eine glatte Themenverfehlung, es verlangsamt die Abläufe – und dann geht es ja auch um die technische Infrastruktur, etwa beim Austausch großer Datenmengen, Betriebsgeheimnissen, Datensicherheit. Wir bieten flexible Arbeitszeiten und gewissermaßen professionelle Homeoffice-Formen an Standorten in unserem Firmennetzwerk, um Fahrzeiten zu reduzieren.

Wie oft haben Sie sich persönlich schon testen lassen?

Sicher schon mehr als 20 Mal. Wir kommen natürlich viel herum, treffen Leute, auch bei der MotoGP ist man ja in dieser eigenen Blase. Es ist auch eine Frage des Verantwortungsbewusstseins, dass man sich da zumindest einmal in der Woche testet.

Wie gehen Sie im Unternehmen damit um?

Wir waren da sicher Pioniere in Österreich, wir haben schon im Halbjahr mit der Durchführung eigener PCR-Tests in Zusammenarbeit mit einem Labor begonnen, haben dann Ende August Schnelltestungen gestartet, damals war das für viele in Österreich noch ein Fremdwort. Wir haben mittlerweile Drive-in-Teststationen in Mattighofen und wir haben nach der Betriebsunterbrechung im Frühsommer 2000 Mitarbeiter innerhalb von zwei Tagen, Samstag und Sonntag, durchgetestet.

Sie setzen also bereits auf Massentests?

Ja, wir setzen auf flächendeckende Tests. Die Diskussion, die wir jetzt in Österreich erleben, dass Parteien und einzelne Personen hinterfragen, was ein Massentest ist und was das überhaupt soll – ich kann nur sagen: Ohne Schnelltests wären wir nicht in der Lage gewesen, unsere Produktion in den letzten Monaten so gut aufrechtzuerhalten.

Die Coronakrise und der Umgang damit führen zu einer gewaltigen gesellschaftlichen Polarisierung. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Es gibt eine Spaltung der Gesellschaft, die bemerken wir, in der Wirtschaft auch zwischen dem geschützten und dem ungeschützten Bereich, also jenen Unternehmen, die im freien Wettbewerb stehen, und in Branchen wie Tourismus und Gastronomie, die natürlich ganz massiv von dieser Pandemie betroffen sind. Der geschützte Bereich ist nicht so davon betroffen, dennoch bemerke ich in Gesprächen immer wieder, dass der geschützte Bereich übervorsichtig ist und sich am meisten fürchtet.

Werden Sie sich impfen lassen?

Selbstverständlich. Wir werden auch versuchen, selbst Impfstoff zu bekommen, um das möglichst früh im Unternehmen anbieten zu können. Wir haben 98 Prozent Exportanteil, für uns ist Reisen ein Muss und das wird vor allem außerhalb von Europa ohne Impfung nicht gehen.

Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Regierung?

Ich glaube, dass die Regierung das in ihren Möglichkeiten nicht so schlecht gemacht hat. Die Coronakrise legt aber auch Schwächen dramatisch offen und zeigt, wie sehr die Ministerien – mit Ausnahme des Finanzministeriums, wo das online super funktioniert – bei der Digitalisierung von Verwaltung und Organisation hinterherhinken. Das ist k. u. k.-Monarchieverwaltung. Wenn Corona etwas zeigt, dann die höchstnotwendige Restrukturierung unserer Verwaltung, aber schleunigst. Das ist nicht nur in Österreich so, das ist ein zentraleuropäisches Thema.

Wird die Coronakrise die Wirtschaft nachhaltig verändern?

Ja, ich denke schon. Beispielsweise bei den Lieferketten. Es wird regionalere Lieferketten geben, das sieht man auch bei uns: Wir haben durch unseren indischen Partner eine eigene für Indien, die in sich organisiert ist, zudem eine chinesische und eine europäische. Kreuzweise 25 Teile über den Globus zu transportieren, um das dann irgendwo an einem Standort zusammenzubauen, das wird abnehmen. Auch die Just-in-time-Produktion in dieser starken Ausprägung wird sich in so einem volatilen Umfeld relativieren, man wird sich wieder verstärkt Pufferlager anlegen.

Wann wird die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen?

Wenn das mit den Impfungen entsprechend läuft, ist auch eine sehr scharfe Aufwärtsentwicklung möglich. Die ist aber auch für eine Inflation nicht ganz ungefährlich.

Wie kommt die KTM-Gruppe durch die Krise?

Unsere Produktion war im Frühjahr für acht Wochen unterbrochen, weil wir einen Lieferketteneinbruch aus Italien und Spanien hatten, nicht durch den Lockdown, der hat in Österreich nicht die Industrie betroffen, in Italien leider schon. Es gelingt uns aber, das, was wir im ersten Halbjahr verloren haben, heuer nahezu zur Gänze aufzuholen.

Das Zweirad ist Krisengewinner?

Ich würde nicht von einem Krisengewinner sprechen. Corona bewirkt, dass die Massenbeförderungsmittel eher gemieden werden. Die Devise lautet Distanz halten, wie uns politisch ja auch überall eingebläut wird. Damit steht die individuelle Fortbewegung im Fokus und das befeuert weltweit die Nachfrage nach dem motorisierten Zweirad. Das bringt gerade auf der kurzen Strecke viele Vorteile, benötigt zudem weniger Parkraum, ist erschwinglicher und schneller. Außerdem verbrauchen und emittieren Zweiräder deutlich weniger.

Nach Beendigung der Kurzarbeit im Mai suchen Sie jetzt in Österreich neue Mitarbeiter?

Wir sind aufgrund der Nachfrageentwicklung in der glücklichen Lage, dass wir seit Mitte Mai wieder volles Rohr produzieren können, wir fahren an der Kapazitätsgrenze, wir suchen nach wie vor 200 neue Mitarbeiter, die wir trotz Krise nicht finden in unserer Region.

Wie lange dauert es zum Wiederreichen einer Normalität, kann es die so überhaupt geben?

In unseren Planungen gehen wir davon aus, dass das nächste Halbjahr noch eher zäh und heftig werden wird – bis die Impfungen im großen Ausmaß durchgeführt werden und die Psychologie der Menschen wieder so weit ist und alle gelernt haben, damit umzugehen.

Die KTM-Gruppe ist Marktführer in Europa und Nummer vier der Welt. Wie sieht Ihr Ausblick aus?

Wir wollen weltweit Kawasaki überholen und zur Nummer drei aufsteigen. Beim Motorradverkauf sind 300.000 unser Ziel, das werden wir nächstes Jahr schaffen. Das nächste Ziel ist dann eine halbe Million, das erachten wir im klassischen Bereich als realistisch. Der Bereich Elektrofahrräder, in den wir vor zwei Jahren richtigerweise eingestiegen sind, geht ab wie eine Rakete, hier liegen wir heuer trotz Corona schon bei einem Jahresabsatz von rund 110 Millionen und da wollen wir in den nächsten vier, fünf Jahren in Richtung einer halben Milliarde kommen.

Ducati, derzeit noch Teil des Volkswagenkonzerns, ist am Markt, würde der italienische Hersteller nicht blendend in Ihre Gruppe passen?

Das haben wir schon gehört, da widerspreche ich auch gar nicht, das würde sich strategisch sicher sehr gut ergänzen. Ducati ist der Ferrari unserer Branche.

Könnte sich in den nächsten Monaten etwas tun?

Durch Corona ist alles sehr volatil, du kannst nichts ausschließen, aber auch nichts fix sagen. Was wir aber klar sagen können: Wir blicken dem nächsten Jahr extrem optimistisch entgegen.

Stehen hohe Investitionen an?

Klar. Du musst in schwierigen Zeiten Gas geben, jetzt kannst du Meter machen und vorangehen. Natürlich brauchst du dafür eine wetterfeste Unterhose, aber jetzt zaudern, fürchten und im Homeoffice einsperren? Dann kann ich meinen Unternehmensgegenstand aufgeben.

KTM hat in der MotoGP heuer zahlreiche Ausrufezeichen gesetzt und die ersten Siege eingefahren. Lautet das Ziel nun WM-Titel?

Na klar, dafür sind wir ja in die MotoGP hineingegangen. Das war jetzt die Gesellenprüfung. Ich glaube, dass innerhalb der nächsten drei Jahre die Chance besteht, einen WM-Titel zu holen.