Der Umstand, dass Österreich Mitte August Kroatien pauschal zum Corona-Risikogebiet erklärt und eine Reisewarnung für das ganze Land ausgesprochen hat, war aus Sicht von Christoph Leitl ein Fehler. Der Präsident der europäischen Wirtschaftskammern (Eurochambres) hält den Weg, regionale Hotspots für gewisse Regionen zu definieren, für zielführender. „Dass Österreich Kroatien pauschal zum Risikogebiet erklärt hat, das hat auch Wunden aufgerissen. Österreich hat derzeit nicht viele Freunde in Kroatien.“ Er sehe die Gefahr, dass das unterschiedliche Vorgehen einzelner EU-Staaten eine „politische Dimension annimmt, die die jeweiligen Auswirkungen zu wenig berücksichtigt“. Er fordere daher „gemeinsame europäische Kriterien, von mir aus ein Ampelsystem, die dann für alle Länder gelten“. Die EU brauche in diesen Zeiten „eine Koordinierungskompetenz, wir müssen gemeinsam eine europäische Ampel etablieren, die regional heruntergebrochen wird, wir müssen differenzieren, das System muss verfeinert werden“, so Leitls Appell.

Kritik an Umgang der Regierung mit Mercosur-Pakt

Kritisch sieht der langjährige frühere österreichische Wirtschaftskammerpräsident die Rolle Österreichs und anderer EU-Mitgliedsstaaten auch im Zusammenhang mit dem geplanten Handelsvertrag zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Ländern. Die Ablehnung seitens der Regierung könne er nach wie vor nicht nachvollziehen, gerade Österreich sei enorm vom Außenhandel abhängig, „kaum ein Land ist so exportorientiert wie Österreich und ausgerechnet wir wollen unsere Lebensadern abschneiden oder zumindest infrage stellen“, kritisiert Leitl. „Wir müssen aufpassen, dass wir in Europa nicht demagogisch werden, damit spielen wir das Lied der anderen – wir müssen im Handel mit Vernunft, Zuversicht und Klarheit agieren.“ Auch er trete für Verbesserungen im Vertrag ein, doch dieser werde „gerade erst übersetzt, noch rechtlich verfeinert, dann wird es noch eine engagierte Diskussion geben, die wichtig ist, aber wenn man von vornherein schon sagt, das ist alles Teufelszeug, nehmen wir uns jeden Spielraum“, so Leitl, der u. a. darauf verweist, dass im Mercosur-Pakt auch europäische Lebensmittelstandards und etwa auch das Pariser Klimaschutzabkommen verankert sind. „Das darf aber natürlich nicht nur auf dem Papier stehen, das muss auch kontrolliert und sanktioniert werden – da gebe ich Kritikern durchaus recht.“

Russlands Umgang mit Opposition "unwürdig"

Leitl macht auch keinen Hehl daraus, dass er nach wie vor für eine transkontinentale Freihandelszone unter Einbindung der Ukraine und von Russland eintrete, „das könnte auf längere Sicht viele Spannungen lösen“. Sanktionen gegen Russland nach dem Giftanschlag gegen den Oppositionellen Alexei Nawalny lehne er ebenso ab wie einen Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2. „Ich sage aber ganz klar, dass es eines Rechtsstaats und einer Kulturnation wie Russland unwürdig ist, mit der Opposition so umzugehen.“ Eine Aufklärung der Causa sei dringend nötig. „Europas Verantwortung ist es aber auch, nicht Brücken abzureißen, damit erreichen wir das Gegenteil – jeder der sanktioniert wird, projiziert die inneren Probleme auf den Außenfeind, genau diese Psychologie würde hier entstehen.“

"Eigenes EU-Jugendparlament einrichten"

In seiner Funktion als Präsident des „European Youth Forum Neumarkt“ (EYFON) verfolgt Leitl – neben einer umfassenden Befragung unter dem Titel „Was denkt Europas Jugend?“ – auch eine Idee zur stärkeren Einbindung von Jugendlichen in den Entscheidungsprozessen. Neben dem EU-Parlament in Brüssel und Straßburg sollte seiner Meinung nach auch ein Jugendparlament eingerichtet werden. „Nur drei Prozent der EU-Abgeordneten sind unter 30 Jahre alt, aber ein Viertel über 60“, so Leitl. Wir brauchen die Stimme der Jugend, sie will was sagen, sie kommt auf konventionellem Weg aber nicht durch.“ Hubert Patterer, Manfred Neuper