"Es ist ein Kriminalfall – und ein Drama. Markus Braun ist ein technisches Genie und nicht der Typ für Macheleukes. Aber als CEO muss er den Kopf für alles hinhalten“, schildert ein prominenter Unternehmer in Wien. Als „enger Freund“ sei er so „fassungslos und geschädigt“ wie Zehntausende Anleger, die binnen einer Woche 14 Milliarden Euro verloren haben. „Ich glaube nicht, dass er größenwahnsinnig war und Löcher gestopft hat“, so der Freund, der nicht genannt werden will. „Markus Braun brauchte nie Ferraris und Jets und ist eher bescheiden.“

"Potenzial von 100 Milliarden Euro"

Das hat der Gründer des Onlinezahlungsabwicklers Wirecard den Anlegern so nicht vermittelt. „Wir haben sicherlich das Potenzial, den Börsenwert in den kommenden Jahren auf über 100 Milliarden Euro zu bringen,“ tönte Braun 2018, als Wirecard als DAX-Neuling an der Frankfurter Börse schon 24 Milliarden Euro wert war. Von „Trend“ und „Manager Magazin“ zum Aufsteiger des Jahres gewählt zu werden, hätte bereits Warnung sein sollen. Erst recht 2019 erneut auftauchende Vorwürfe unkorrekter Zahlen am Expansionsschwerpunkt Asien. Dort ist jetzt eine gigantische Luftblase von zwei Milliarden Euro geplatzt, Wirecard nur noch Ramsch und Braun sowie Ex-Vorstand Jan Marsalek im Visier der Staatsanwaltschaft.

Never catch a falling knife

Noch Mitte Mai war man in einem Wiener Nobelrestaurant bester Laune. Hatte man doch am ersten Abend der Corona-Öffnung auch einen Geburtstag zu feiern. Die Gäste scharten sich vor allem um den fast zwei Milliarden Euro schweren Star: Markus Braun, damals noch CEO von Wirecard und bewunderter Genius der bargeldlosen Zahlungswelt. Nun ist Wirecard pleite und Braun zwar für fünf Millionen Euro Kaution aus der Haft entlassen, aber mit Auflagen samt Unschuldsvermutung in München aufhältig, und er ist um einiges ärmer. Wie auch etliche Herrschaften der illustren Feierrunde. Denn auch im Mai hat so mancher noch auf Wirecard-Aktien gesetzt. Dabei mahnt ein Börsensprichwort: Never catch a falling knife!

Zynische Beteuerungen

Um die Schnittwunden, die sich die nach der Wirecard-Aktie greifenden Hände geholt haben, muss man sich nicht mitleidig sorgen. Denn zu diesem Zeitpunkt muss schon ein gerüttelt Maß an bedenkenloser Raffgier die gebotene Vorsicht übertroffen haben. Mitte Mai war Wirecard schon ein scharf fallendes Messer und der Kurs gegenüber drei Wochen vorher von fast 140 Euro auf unter 77 Euro heruntergerasselt. Wer da trotz KPMG-Sonderprüfung noch Brauns Beteuerungen vertraute, dass alles paletti sei, muss schon sehr von seinem vermeintlichen Charisma geblendet gewesen sein. Die Beteuerungen klingen im Nachhall umso zynischer, seit Braun nun den Hut nehmen musste, weil die Wirtschaftsprüfer von EY auf einer Kontoposition in Asien verbuchte 1,9 Milliarden Euro auch bei genauestem Suchen nicht finden konnten.

Wo versagten Prüfer und Aufsichtsorgane?

Die Aktie stürzte binnen Tagen von rund 100 auf nahezu null, 14 Milliarden Euro Börsenwert lösten sich für Anleger praktisch in nichts auf. Zufällig soll die Bank of China als erste ihre Kredite bei Wirecard fällig gestellt haben, die zum Insolvenzantrag führten, was Gerüchte über gezielte Zerschlagung nährt. In jedem Fall ist die Pleite ein Megaskandal mit enormer krimineller Energie, welche die EY-Prüfer zu ihrer eigenen Verteidigung einem betrügerischen Netzwerk vorwerfen. Was übersahen Vorstand, interne Revision und Prüfungsausschuss? Wohin schauten Stefan Klestil und die anderen Aufsichtsräte? Ein Zwei-Milliarden-Konto checkt man nicht erst zum Bilanzstichtag! Die deutsche Finanzaufsicht Bafin ging juristisch gegen Journalisten der britischen „Financial Times“ vor, die Wirecard der Unregelmäßigkeiten bezichtigt hatten, anstatt bei Wirecard global unter die Decke zu schauen.

Schande für Bafin und DAX

Schande für Bafin: Die erste Pleite im DAX! Zum Einzug in die Corona der deutschen Börsenunternehmen prahlte Braun: „Das Größte liegt noch vor uns.“ Der Lehrersohn und Wirtschaftsinformatiker der WU Wien hatte sein Geschäft des bargeldlosen Zahlungsverkehrs auf steiles Wachstum und globale Vernetzung angelegt. Der Schein aber wirkte perfekt, und so schauen die klingendsten Namen am Finanzmarkt als Wirecard-Aktionäre ein. Weil Braun von 8,7 Millionen Stück oder 7,07 Prozent der Aktien seiner WB Beteiligungs GmbH das meiste verkaufen musste, schrumpfte er vom Milliardär zum Millionär.

Schillernde Liste der Verlierer

Die Bloomberg-Liste der größten Aktionäre reicht von Vanguard, BlackRock und Deutsche Bank bis Goldman Sachs. Fondsmanagern gefielen Wachstum und die schillernde Story: Einstiger digitaler Zahlungsdienstleister der Porno- und Lotteriebranche nimmt es mit Elon Musks PayPal auf. Auch österreichische Institute schauen ein, die Sparkasse Oberösterreich sogar mit über 35.000 Stück. Bei den Gläubigerbanken bluten die Raiffeisenbanken Oberösterreich sowie NÖ-Wien. Die märchenhafte Geschichte der globalen Fintech-Firma eines Österreichers wollte man eben mitschreiben.

Parteispender Braun

Braun und die österreichische Politik – ein eigenes Kapitel. Hier sonnte man sich nicht nur im Fintech-Glanz, sondern verstand Zahlungsdienstleister gleich wörtlich als Parteispender, jedenfalls bei Neos für drei Wahlkämpfe bis 2016 mit insgesamt 125.000 Euro und danach bei der Neuen VP von Sebastian Kurz mit 70.000 Euro, wie offiziell verbucht wurde. Fallweise stellte sich Braun als Zukunftsdenker in die Auslage. Matthias Strolz hielt ihn für einen „Visionär“.

Matthias Strolz: "Ein Wahnsinn!"

„Ein Wahnsinn! Tragisch für alle Kleinanleger“, ist Ex-Neos-Chef Matthias Strolz entsetzt, der „schon lange keinen Kontakt mehr“ zu Parteispender Braun  hatte.

Christian Kern: "Passte für ÖBB"

„Wirecard bot 2014 bei Ausschreibung der ÖBB die innovativste Lösung“, erinnert sich Ex-ÖBB- und Ex-SPÖ-Chef Christian Kern.  Politisch blieb man distanziert: „Braun ist ein extremer Neoliberaler.“

Aus Sebastian Kurz´"Think Austria" weg

Kanzler Sebastian Kurz holte Braun, der 2017 der ÖVP 50.000 Euro spendete, in seine Beratergruppe Think Austria. Seit Start von Türkis-Grün sei aber Braun nicht mehr dabei.

Was entging dem Aufsichtsrat?

Fintech-Profi Stefan Klestil, Sohn des einstigen Bundespräsidenten Thomas Klestil, Partner bei Speedinvest, ist seit 2009 bei Wirecard im Aufsichtsrat. Was übersah das Kontrollorgan?

Meistens scheute Braun das Licht der Öffentlichkeit. Nun blickt die Welt auf sein eingestürztes Kartenhaus.