Hunderttausende sind bereits am Coronavirus erkrankt, Tausende gestorben. Brauchen wir ein Wunder?
FRED LUKS: Akut brauchen wir kein Wunder, sondern Besonnenheit und eine Politik, die die richtige Balance findet. Langfristig, mit Blick auf die kommende Wirtschaftskrise, bleibt die Hoffnung, dass Dinge passieren, mit denen wir heute noch gar nicht rechnen können. Auf das Wunder, dass man schnell ein Medikament oder eine Impfung findet, darf man hoffen, aber nicht setzen. Da ist Vorsicht angesagt.

Wir sehen eine schwer verunsicherte Welt. Niemand weiß, wie lange diese Krise anhalten wird. Woraus kann sich da noch so etwas wie Hoffnung nähren?
Aus den positiven Sachen, die in dieser Krise stecken: Dass wir als Gesellschaft lernen und es Beispiele für Solidarität gibt. Das darf man bloß nicht überschätzen. Die Krise als Chance zu bezeichnen, ist heikel, darin steckt zu viel Optimismus. Was mir Anlass zur Hoffnung bietet, ist, dass es den ernsthaften Versuch gibt, die Krise zu managen, und dass Expertenmeinungen, anders als beim Klimawandel, sehr ernst genommen werden. Ich sehe aber auch, dass der massive Eingriff in die Freiheit zu Wachsamkeit zwingt.

Fred Luks
Fred Luks © Christina Häusler

Kann man mit Blick auf die USA, Italien und Spanien jetzt nicht jegliche Hoffnung verlieren?
Die Hoffnung würde ich nicht aufgeben. So eine Epidemie dauert nicht ewig, die Infektionskurve wird wieder runtergehen. Als Gesellschaft darf man die Hoffnung nicht verlieren.

Wir sind im Blindflug unterwegs, wissen wenig über das Virus. Können wir als sicherheitsverliebte Gesellschaft mit so viel Unsicherheit denn umgehen?
Ja, wir als reiche westliche Gesellschaft sind an Sicherheit gewöhnt, die aber sehr ungleich verteilt ist. Plötzlich kommt so etwas Primitives wie ein Virus daher und löst einen Schock aus. Es zeigt sich, dass es eine Scheinsicherheit war. Diesen Schock der totalen Unsicherheit spürt man überall. Wir haben überhaupt keine Ahnung, was jetzt gerade passiert.

Was löst dieses gesellschaftliche Wissen um unsere Verletzlichkeit aus?
Das ist eine Riesenlektion, die wir jetzt lernen – als Menschen, Gesellschaft, als Familie, als Betriebe. Ich bin mir nur nicht sicher, ob sie auch verstanden wird. Denken Sie an die Finanzkrise oder an die BSE-Krise. Auch da gab es totale Verunsicherung. Monate später war davon nicht mehr die Rede. Ich hoffe auf die Lernfähigkeit, warne aber vor Naivität.

Gerade in Krisenzeiten werden viele falsche Hoffnungen geweckt.
Wir sind dafür als Gesellschaft extrem anfällig. Die starke Sehnsucht nach einfachen Lösungen hat sich jetzt noch multipliziert. Falsche Hoffnungen haben das Problem, dass sie böse enttäuscht werden. Die Gefahr sehe ich vor allem bei den Versprechungen, was sich denn jetzt alles ändern wird: Wir werden entschleunigen, wir werden achtsam werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Leute, die das glauben, schon im Herbst brutal enttäuscht werden, ist groß.

Was macht Hoffnung mit uns innen drin? Und was löst Hoffnungslosigkeit aus?
Hoffnung hat etwas total Aktivierendes. Wenn man als Kranker die Hoffnung hat, dass es besser wird, dann wirkt sich das positiv auf den Heilungsverlauf aus. Ich brauche Hoffnung als Antrieb, damit ich gesund werde. Hoffnungslosigkeit gebiert Inaktivität – wenn ich keine Hoffnung mehr habe, was soll ich dann noch tun?

Ist es für die Gesellschaft nicht irrelevant, ob ich hoffe oder nicht?
Nein! Denken Sie doch an die Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King – es war ja völlig aussichtslos, zu glauben, dass man je die Rassentrennung abschaffen kann. Und es ist geglückt. Wenn die Leute in der DDR nicht irgendwie daran geglaubt hätten, Aussicht auf Erfolg zu haben, hätten sie es nicht gemacht. Oder die „Fridays for Future“-Bewegung: Das sind junge Leute, die hoffen, wirksam zu sein, und sie haben etwas verändert.

Wenn einmal Freunde und Verwandte von Covid-19 getroffen sind, Hunderttausende ihren Job verloren haben. Stirbt da nicht die Hoffnung?
Die Zukunft ist offen und kann sich verbessern. An diesen Strohhalm kann man sich klammern. Der Veränderungswille ist die Kraft der Hoffnung.

Ein Bonmot lautet: „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. In Österreich ist die Lage aber hoffnungslos, aber nicht ernst.“ Ist da noch etwas dran?
Derzeit erlebe ich die Lage ungewohnt ernst für österreichische Verhältnisse. Die Rigorosität der Maßnahmen ist durchaus bedenklich, aber möglicherweise jetzt das Richtige. Was ich wichtig finde: In einem Ausnahmezustand kann man durch entschlossene Beschlüsse leicht hineinkommen. Wichtig ist es, auch wieder gut rauszukommen, wenn einmal das Schlimmste hinter uns liegt. Das wird eine gesellschaftliche Aufgabe.

Brauchen wir jetzt schon ein Szenario für die Zeit nach Corona oder reicht es, die Gegenwart gut zu managen?
Wir stehen womöglich vor der größten Rezession aller Zeiten. Da werden die Staaten wahnsinnig viel Geld in die Hand nehmen. Man muss sich jetzt überlegen, was sind die Kriterien, nach denen man Geld in die Wirtschaft hineinpumpt? Wenn man schon diese unfassbaren Summen ausgibt, macht man es hoffentlich in einer Weise, die unsere Wirtschaft „Paris-konform“ klimafit macht und innovativer macht. Das wird eine Riesenaufgabe.

Man gewinnt den Eindruck, der Klimawandel wäre völlig aus der Wahrnehmung verschwunden, zugleich passieren jetzt all jene Dinge, die immer für unmöglich gehalten wurden – das Runterfahren der Schwerindustrie, viele Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe bleiben am Boden oder im Hafen.
Ich finde es bemerkenswert, dass den Medizinern in der Notsituation wesentlich besser zugehört wird als früher den Klimaforschern. Trotzdem sollte man auch diese Lektion ernst nehmen: Die Politik kann, wenn es drauf ankommt, auf Experten hören. Und sie kann vehement eingreifen. Man muss aber auch die Kosten dieser Maßnahmen bedenken, die Einschränkung der Freiheit. Offensichtlich ist die Politik nicht machtlos. Wenngleich ich mir auch nicht vorstellen kann, dass man solche Maßnahmen viel länger als bis Ostern durchhalten kann.

Warum?
Die Leute werden irgendwann durchdrehen. Was sich jetzt an dramatischen Lebenssituationen in Wohnungen abspielt, ist gefährlich. Und die Wirtschaft wird es nicht aushalten. Am Ende wird es brutale Abwägungsprozesse geben müssen: Wie lange mute ich der Wirtschaft das zu? Wir werden eine Rezession erleben, im Vergleich dazu war die Finanzkrise vermutlich ein leichtes Hüsteln.

Wo ist die Grenze zwischen einem naiven, fröhlich-unbekümmerten optimistischen Blick auf die Krise und der Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wendet?
Optimismus geht davon aus, dass schon alles gut wird. Wer hofft, kann sich aber ein Scheitern vorstellen. Wer hofft, will, dass sich die Welt verändert. Es gibt den Spruch, der Pessimist sei der einzige Mist, auf dem nichts wächst. Das gilt auch für den Optimisten, der fühlt sich gar nicht zum Handeln aufgerufen. Hoffnung ist viel kritischer, aber auch viel aktivistischer. Im Bereich des Klimawandels etwa halte ich blinden Technikoptimismus für ungeheuer schädlich und gefährlich.

Wo verorten Sie den Optimisten in der Corona-Krise?
Ich kenne niemanden, der jetzt wirklich optimistisch ist. Es herrscht große Betroffenheit und Furcht. Viele von uns sind in die Wohnungen eingesperrt und zu Inaktivismus gezwungen. In der Politik sehe ich den sehr ernsthaften Versuch, diese Krise zu bewältigen.

Es wird ein Leben nach Corona geben. Soll der Einzelne sich jetzt schon damit beschäftigen?
Ich bin hoffnungsfroh, dass wir als Gesellschaft etwas lernen. Wenn man 30, 40, 50 wird, fragt man sich auch, was man gemacht hat und was man noch erreichen will. Man denkt über sich nach. Ich will die Lage jetzt nicht schönreden: Aber es gibt jetzt zumindest die Chance, Sachen zu hinterfragen – so wie an einem runden Geburtstag.

Sie sind selbstständig und fallen dieser Tage um alle Ihre Einnahmen um. Worauf hoffen Sie?
Ich bin guter Dinge, dass vieles, das ich jetzt nicht machen kann, im Herbst wieder funktionieren wird.