Auch wenn Ihr Unternehmen jetzt seit einigen Wochen an der Börse und in seinem Gebiet Weltmarktführer ist: Die meisten Menschen wissen vermutlich gar nicht, was das Unternehmen Frequentis eigentlich macht. Warum genau braucht die Welt Frequentis?
Norbert Haslacher: Was wir tun, rettet Leben. Durch uns wird die Welt sicherer. Wir bieten Sprachvermittlungssysteme und ergänzende Produkte für Einsatzleitzentralen in Behörden mit sicherheitskritischen Aufgaben an. Zivile und militärische Flugsicherung, Feuerwehr, Rettung, Polizei, maritime Einsatzleitzentralen und Bahnleitzentralen. Unsere neueste Technologie ist, Flughäfen über Remote Tower zu steuern, Tower ohne Menschen.

Ist das ein Rezept gegen Luftraumüberlastung, Chaos-Sommer wie vor einem Jahr?
Hannes Bardach: Genau. Man erhöht die Einsatzeffizienz der Lotsen. Die Deutsche Flugsicherung, mit der wir das entwickelt haben, hat zu wenig Controller für den steigenden Flugverkehr. An nicht hoch frequentierten Airports braucht man mit dem Remote Tower keine Lotsen mehr, die können anderswo eingesetzt werden. Das wird eine Revolution auslösen.

Der erste Flughafen mit Digital-Tower ohne Menschen ist in Saarbrücken. Wie funktioniert das?
Bardach: Über Masten mit Kameras, easy, wie Scheinwerfer am Fußballplatz. Die Lotsen sitzen weit weg in Leipzig.
Haslacher: Dresden und Erfurt kommen bald dazu. In Jersey ist auch schon einer in Betrieb.

Das heißt, alles funktioniert ohne irgendein Problem?
Haslacher: Absolut, seit Oktober. Wir haben das sieben Jahre entwickelt. Es muss ja alles „safe“ sein, was da passiert. Jetzt exportieren wir die Technologie weltweit. Inzwischen gibt es Projekte in Argentinien, Brasilien, England, Neuseeland und den USA. Das bedeutet, dass wir in jedem Land eine Reihe von Aufträgen bekommen dürften.

Hannes Bardach (l.), Norbert Haslacher
Hannes Bardach (l.), Norbert Haslacher © Haase

Steckt darin eine Art Rezept, wie Frequentis weltweit zur Nummer eins aufsteigen konnte?
Bardach: Wir haben uns immer klare Ziele gesetzt. Und schon zu Beginn unserer Erfolge in den 1980er- und 1990er-Jahren hatten wir rasch die Regel, dass wir alles, was wir tun, weltweit ausrollen. Wir wollen Technologie liefern und die muss sich überall bewähren. Zur geografischen Expansion kam die inhaltliche durch das Schlüsselerlebnis von 9/11. Damals war schlagartig das halbe Marktvolumen in der Flugsicherung weg.
Haslacher: Das Modell Flugsicherung haben wir in andere Geschäftsfelder übertragen. Etwa Küstenfunk. Da haben wir heute ein Viertel der Weltmeere. Es gibt also noch viele Länder, die man gewinnen könnte.

Warum ist seit 20 Jahren nichts passiert, um den einheitlichen europäischen Luftraum Single European Sky zu schaffen?
Bardach: Kapazitätsengpässe und ihre Überwindung habe ich schon einige erlebt. Tatsächlich hat die Eurocontrol ab 2001 mit neuen Algorithmen, besserer Flugplanung viel verbessert. Früher hat man mal leicht eine Stunde in der Luft über Frankfurt verbracht. Heute bleibt man in so einem Fall gleich in Wien am Boden. Auch jetzt gibt es Programme, wo man sich für den Luftraum eine neue Architektur überlegt. Es ist aber nicht abzusehen, dass man von den nationalen Systemen weggeht.

Die Vereinheitlichung würde eine Menge Kerosin sparen.
Bardach: Das stimmt. Vielleicht kommt etwas in Bewegung.

Was ist das Um und Auf der Technik, die Sie anbieten?
Haslacher: Ausfallsicherheit. Wenn Sie einen Piloten fragen, was sein wichtigstes Tool ist, dann wird er sagen: Sprachkommunikation. Ohne sie geht einfach nichts.

Spielt künstliche Intelligenz eine Rolle in der Flugsicherung?
Bardach: Das dauert Jahre, es wäre ein Paradigmenwechsel. Ideen gibt es, erprobt ist nichts.
Haslacher: Derzeit basiert die Planung in der Flugsicherung auf Basis komplexer mathematischer Modelle. Danach werden die Vorschläge, die ein Fluglotse erhält, errechnet. Aber er entscheidet und haftet dafür. Alles wird aufgezeichnet, wann er auf welcher Basis welche Entscheidung getroffen hat.
Bardach: Mit künstlicher Intelligenz ginge das so: „Wenn du nur lang genug zuschaust, kannst du es auch.“ Entsprechende Forschungsvorhaben der Eurocontrol gibt es.

Bei Ihnen rauchen dazu auch schon die Köpfe?
Haslacher: Seit drei Jahren. Die große Frage ist, wie will man in einem System, das auf künstlicher Intelligenz basiert, nachweisen, warum wann auf welcher Basis eine Entscheidung getroffen wurde. Das spießt sich auch mit aktuellem Recht.

Drohnenanwendung ist ein breites Zukunftsfeld. Was wird da auf uns zukommen?
Haslacher: Gute Einsatzgebiete sind Seenotrettung und Brandbekämpfung. Künftig könnte direkt, wenn ein Notruf hereinkommt, eine Drohne starten.
Bardach: Drohnen werden vieles verändern, es gibt viele Anwendungen im Bereich technischer Inspektionen wie von Windkrafträdern, Pipelines, Schienen. Für Krankenhäuser sind sie interessant. Die Anwendung am Land kommt schneller als in der Stadt. Wir sind in einigen Forschungsprojekten, aber wir brauchen komplett neue Gesetze. Wir sind in einer Phase, in der man sich die Welt ganz neu denken muss. Jedenfalls werden Drohnen, so sie autonom fliegen, Flugpläne und Kontrollzentralen brauchen.

Noch einmal zum Börsengang: Können Sie mit dem Start, der Aktienentwicklung zufrieden sein?
Haslacher: Ziel war das Listing, und im Vergleich zum Leitindex ATX ist unsere Performance besser.